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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Graul, Richard: Meisterwerke der Kunst aus Sachsen und Thüringen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0138

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MEISTERWERKE DER KUNST AUS SACHSEN UND THÜRINGEN

117

ALS MADONNA HERGERICHTET. HEILIGENFIGUR
VON TILMAN RIEMENSCHNEIDER (MIT BEMALUNG)

den Originalen entscheidbaren Dinge
solche Meinungsverschiedenheiten auf-
treten, so sind sie gewiß auch zu einem
Teil zurückzuführen auf den ungleichen
Erhaltungszustand gerade der Werke Rie-
menschneiders und seiner Schule. Wo
die Figuren wiederholt übermalt worden
sind, gewinnt der Kopftypus mitunter
ein ganz anderes meist weicheres, run-
deres, volleres Aussehen, wo dagegen
durch schlechtes Ablaugen der Farbe das
Holz bis zum Filzigwerden der Faser
angegriffen ist, kommt ein ganz anderer
Gesichtsschnitt und Gesichtsausdruck zu-
tage. Wehe dem Forscher, der seine
Urteile in so subtilen Qualitätsfragen auf
Photographien allein gründet, die über
den Grad der Bemalung im Zweifel
lassen, oder der^von den meist scheuß-
lich übermalten — man denke an ge-
wisse Würzburger Figuren — Werken aus-
geht. Er maß zu ganz falschen Schlüssen
kommen. Zur Illustration bilde ich hier
den Kopf einer 1905 aufgetauchten echten
Riemenschneiderschen Madonna vor der
Ablaugung und nach dieser Prozedur
ab und überlasse es dem Leser, sich ad
libitum ein Ideal mit größerer Herbigkeit
oder weichlichererBildungzu konstruieren.
Schon dies Beispiel genügt, um das Ver-
trauen in das landläufige Riemenschnei-
derideal und in die Periodisierung seiner
Typen etwas zu erschüttern.

Nach dieser Abschweifung wenden wir
uns\vieder dem Doeringschen Aufsatz zu.
Was er von einheimischen Künstlern —
Sachsen im weitesten Sinne gefaßt —
zu berichten weiß, betrifft besonders den
Schnitzaltar der Marienkirche in Salz-
wedel; er geht dann über zu einer
kurzen Würdigung von Bildhauerwerken
aus dem 17. Jahrhundert.

Einen lokalen Hauptclou der Ausstellung sächsisch-thüringi-
scher Kunst, die thüringische Holzschnitzerei des Mittelalters und
der Renaissance mit dem neuentdeckten Saalfelder Meister Valentin
Lendenstreich als Glanznummer, hat Doering seinem Kollegen
Georg Voß überlassen, der das Thema auf das gründlichste bearbeitet
hat. Offenbar war die alte Sorbengründung Saalfeld eine Art
Kunstzentrum für die thüringischen Lande, ebenso hat auch Alten-
burg, wie Flechsig nachweisen konnte, eine gewisse richtunggebende
Rolle gespielt, so daß wir sowohl von einer Saalfelder wie von
einer Altenburger Schnitzerschule sprechen können. Der durch
sieben zwischen 1490 und 1512 datierte Werke charakterisierte Meister
Valentin Lendenstreich war ein vielbeschäftigter Künstler von etwas
rustikalem Zuschnitt, als Künstler ein derber Bursche, der mit Ge-
schick seine Motive Anregungen von Schongauer und Dürer zu ent-
nehmen wußte und in, wie es scheint, etwas vorlautem Kolorit höchst
wirkungsvolle, mit zierlichen gotischen Rankenbaldachinen verzierte
Schnitzaltäre zuweilen größten Formates lieferte. Was von dem
anscheinend aus Jena stammenden und vielleicht mit dem am Inns-
brucker Maximiliansgrab mittätigen Johann Lendenstrauch verwandten

HEILIGENFIGUREN VON VALENTIN LENDENSTREICH
IN GRABEN BEI SAALFELD
 
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