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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 17.1905-1906

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Pazaurek, Gustav E.: Die Dresdener Ausstellung: durch die rosige und durch die schwarze Brille gesehen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4870#0274
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BEMERKUNGEN ZUR 3. DEUTSCHEN KUNSTGEWERBEAUSSTELLUNG DRESDEN 1906 241

Tafelgeschirre aus Hartporzellan mit Unterglasurdekoren. Porzellanmanufaklur Burgau a. S. Ferdinand Seile

stimmt mit den offenbaren Tatsachen nicht überein.
Von den altpersischen Löwen von Susa (die allerdings
in diesem Gebäude nur als Mietspartei von früher
zurückgeblieben sind) bis zum Biedermeierstil ist,
wenn man näher hinsieht, jeder gute alte Bekannte
auch in den modernen Innenräumen wiederzufinden:
Festsäle und Höfe in klassizistischem Charakter und
Romanisches in der kirchlichen Kunst, andererseits
ausgesprochene Barockstimmungen oder Ornament-
bildungen und zwar nicht nur im Wintergarten von
Villeroy & Boch, sondern auch z. B. in der herr-
schaftlichen Diele im sächsischen Hause (von M. H.
Kühne), wo man dies offenbar selbst empfunden zu
haben scheint, da man zur weiteren Dekoration lauter
Antiquitäten (darunter die Meißener Büste Karls V.
aus der, sonst nur im Schlosse Dux vorhandenen
Kändlerschen Regentenfolge von 1741) heranzog.
Aber all dies wäre für unsere moderne Entwickelung
nicht gefährlich, denn unwillkürliche Reminiszenzen
sind bei der Unsterblichkeit der Motive unvermeidlich.
Daß sich jedoch Aar Kultus der Biedermeierei, den man
denn doch geistig weniger Bemittelten überlassen könnte,
auch in den heiligen Hallen des Hauptgebäudes so
breit macht, daß neben der übersüßlichen Himbeer-
romantik des Damenzimmers Nr. 17 (von Vogeler-
Worpswede) der offenbar in intimeren Beziehungen
zu dieser empfindsamen »jungen Frau« stehende
»Junggeselle«, für den Schultze-Naumburg die drei-
zimmerige Wohnung aus möglichst echten Großväter-
möbeln zusammengestellt hat, uns auch noch einreden
möchte, er sei modern, — das ist denn doch zu viel.
Hat man deswegen gegen die Nachahmung des Ro-
kokostiles in unseren Tagen so gezetert und gewettert,
um den Teufel durch Beizebub zu vertreiben und
uns statt des geistvollen Übermutes des 18. Jahr-
hunderts die philiströse Behäbigkeit der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts aufzuschwatzen? Wo bleibt denn
der gewiß berechtigte Fundamentalsatz »Jeder Zeit
ihre Kunst«? Oder sind wir mit den seligen Spießern
von 1820—40 etwa gar identisch? — Man merkt
übrigens auch in der Dresdener Ausstellung, daß die
Vorbilder, die der »modernen« Produktion zu Paten
stehen, sogar schon die Mitte des 19. Jahrhunderts
erreicht haben; der Salon von Alexander Schröder-
Berlin ist hierfür ein charakteristisches Beispiel. In
welche Sackgasse geraten wir da! —

Die »Schönheit des soliden Materials•■*, die — in

Kunstgewerbeblatt. N. F. XVII. H. 12.

der Industriehalle Nr. II — mit Recht in den Vorder-
grund gestellt wird, ist auch nicht ausnahmslos zur
Geltung gekommen. Kurt Stoeving-Berlin bedient
sich bei seinen Möbeln desselben Mittels, das mir
schon 1900 in Bings Abteilung der Pariser Aus-
stellung bei dem Interieur von de Feure nichts
weniger als einwandfrei schien: er vergoldet alle
seine Möbel vollständig. Wozu? — Bei Bing mochte
es als ein Kompromiß an jenen Teil der Kundschaft,
der noch an vergoldete Rokokomöbel gewöhnt war,
erklärlich erscheinen; hier ist eine derartige Behand-
lung des Holzes völlig unverständlich. — Ob es an-
gezeigt erscheint, an Stelle einer Haupterrungenschaft
unserer Zeit, nämlich der opaleszenten Glasmosaik-
fenster Dünnschliffe von grauem Marmor (Behrens)
oder diaphane Porzellanblumenplatten (Schmuz-Baudiß)
treten zu lassen, soll auch dahingestellt bleiben; im
Einzelfall mag dies, da es sich ja um kein Surrogat
handelt, für subtile Stimmungen hingenommen werden;
bei Wiederholungen müßte man gegen dergleichen
Übergriffe Stellung nehmen. — Die Linoleumfabrikation
hat seit den letzten Ausstellungen ihre materialge-
rechten Bahnen gefunden; anders liegt dagegen die
Frage, bis wie weit wir den Zellulose- und Zelluloid-
produkten bei ihrer notorischen Feuergefährlichkeit
Tür und Tor öffnen dürfen. Elfenbein- oder Horn-
imitationen aus Zelluloid sind mit vollem Rechte aus
der Ausstellung verbannt geblieben; der Kunstseide
gegenüber war man, allerdings im Industriegebäude,
nachsichtsvoll. Wenn es wahr ist, daß das »neue
patentierte Emailverfahren« von H. Bindewald in
Friedberg in Hessen (in den Olbrich-Räumen ange-
wendet) in diese Abteilung gehört, dann wäre die
größte Vorsicht gegen ein solches Kuckucksei emp-
fehlenswert.

Als ein wenig erfreuliches Moment möchte ich
ganz besonders den strengen Puritanismus, die ge-
radezu beängstigende Ornamentflacht hinstellen. Es
ist ja wahr, daß mit dem Ornament in den letzten
Jahrzehnten ein solcher Unfug getrieben wurde und
daß ein Überwuchern von Schmuckformen, oft an
der unrichtigsten Stelle, den Sinn für die elementaren,
konstruktiven Grundforderungen vielfach getrübt hat;
ebenso selbstverständlich ist der naturgemäße Rück-
schlag, der auf die ungerechtfertigten Ornamentorgien
folgen mußte. Aber man tut des Guten doch jetzt
bereits wieder zu viel, oder richtiger gesagt: zu wenig.

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