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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Gross, Karl: Gestaltungsunterricht und Volkserziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0069
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WETTBEWERBE DES DRESDENER KUNSTGEWERBEVEREINS

Einfache Altargeräte in Silber zum Preise von ca. 500 M. (Handarbeit)

Entwurf und Ausführung: Ooldschmied Ehrenlechner-Dresden

o 1, Der Religionsunterricht. Er besinnt sich bereits darauf, daß sein Ziel auch nicht durch Wissen und

Auswendiglernen zu erreichen ist. Der Glaube an dies oder jenes kann eben nicht gelehrt oder befohlen
werden, aber die Empfindung, daß die Religion etwas Schönes und Befreiendes ist, kann geweckt werden,
n 2. Der deutsche Sprachunterricht. Soweit er nicht die Grammatik betrifft, muß er in der Jugend zu-

nächst das Vermögen und den Mut erwecken, das eigene Denken und Fühlen zum Ausdruck zu bringen.
Erst allmählich und stufenweise dürfen die Anschauungen Anderer mit hinzugezogen werden, um das eigene
Empfinden daran zu schleifen oder überzeugt zu bereichern. a

o Also auch hier kein Hineinstopfen, sondern ein Herausholen! o

o Als Goethe seinen Faust die Bibel übersetzen läßt, stockt er zu Beginn: »Im Anfang war das Wort«,

und übersetzt schließlich zuversichtlich: »Im Anfang war die Tat«. °

o Ja, die »Tat«, das schöpferische »Tun und Wollen« ist die Quelle der Kraft und Erhaltung einer

Nation. Und dieser Quell springt nicht aus dem angelernten toten Wissen, sondern aus dem lebendigen,
persönlichen Empfinden. o

o Soweit sich diese Tatkraft in wirtschaftlich-gewerblicher Art äußern soll, muß sie ebenfalls dieser Quelle

entspringen, wenn sie volkswirtschaftlich gesund sein will. °

n 3. Damit komme ich auf das dritte Erziehungsmittel für das Volksempfinden, »den Gestaltungsunterricht«.

Er hat die Aufgabe in gewerblicher Beziehung, solide Gesinnung und guten Geschmack zu verbreiten. Er
hat die Aufgabe, gegenüber der Persönlichkeitsausschaltung der industriellen Produktion, die schöpferischen
Kräfte der Nation zu entwickeln und zu einem gefestigten wirtschaftlichen Faktor zu machen, der von
anderen Völkern nicht nachzuahmen ist, weil er auf nationalem Talent und Empfinden beruht, und der, wenn
er stark genug ist, andere in seinen Bann zwingt. Der Gestaltungsunterricht muß daher in unserer Jugend
das Empfinden für alles Schöne und Charaktervolle wecken, in Natur und Mensclienwerk, auf daß sie die
Geschmacklosigkeit unserer Zeit hassen lernt, hassen lernt all die Hohlheit unserer gesellschaftlichen Sitten,
hassen lernt alles Mehrscheinenwollen und hassen lernt unsolide und empfindungslose Arbeit. Mit dem Fort-
schreiten dieser Gesinnung erst wird unser Gewerbe und Handwerk wieder seinen goldenen Boden finden
und darum ist ein zielbewußter Gestaltungsunterricht so wichtig für die Volkserziehung. D

° Heute ist er allerdings noch ein Durcheinander von verstandenen und unverstandenen Methoden, die

im Einzelfall oft recht gut sind, aber im Ganzen hat er keine Stoßkraft, weil die wenigsten das einheitliche
Ziel erkennen. □

o Im folgenden möchte ich daher versuchen, einige Richtpunkte klarzustellen, zunächst für den allgemein-

bildenden Gestaltungsunterricht, die wichtige Grundlage des ganzen späteren Aufbaues. o
 
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