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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 20.1909

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Gross, Karl: Gestaltungsunterricht und Volkserziehung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4598#0071
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WETTBEWERBE DES DRESDENER KUNSTGEWERBEVEREINS

Taufgerät in Zinn
Entwurf: Adolf Sonnenschein Ausführung: Poeschmann-Dresden

Taufgerät in Messing
Entwurf: Adolf Sonnenschein Ausführung: W. Matusch-Dresden

n Es kommt einfach daher, daß kein Unterricht besteht, welcher die Jugend zu jenem selbständigen

Empfinden erzieht, das später imstande wäre, die Forderungen unserer Zeit geschmacklich sicher zu formu-
lieren. Das geschickte Nachahmen äußerlicher Stilkennzeichen ist ein Unterricht des Wissens und Könnens,
aber nicht das Produkt eigenen Fühlens und Gestaltens. □

□ Hier liegt also der Erziehungshase ganz bedeutend im Pfeffer, denn in Zukunft gehört der Einfluß
jenem Volke, welches am zwingendsten den Schönheitsausdruck unserer Zeit zu formen weiß. — Was können
wir hieraus lernen? □

□ Ich sage: »Nichts«, was nicht von empfindenden Leuten da und dort bei uns schon versucht worden
wäre, und »vieles« durch die allgemeine Erkenntnis, daß hier ein wichtiges Erziehungsgebiet noch brach
liegt, das auf Grund verstreuter Versuche einer einheitlichen Bearbeitung dringend bedarf. — Stellen wir uns
auf den Boden von Talsachen. □

□ Was wird im Zeichenunterricht da und dort nicht schon alles versucht und geleistet; da gibt es
Phantasie- und Gedächtniszeichnen, Naturzeichnen nach Pflanzen und Tieren, nacli Hüten und Töpfen und
Menschen, es gibt Naturbeobachtungen von Farbwerten und Aquarelle, Dekorationsversuche und Ornament-
entwerfen, Papierausschneiden, Porzellanmalen, Kleisterpapierfabrikation, Stickereien, Linoleumschnitt usw. All
das im sogenannten Zeichenunterricht, der damit bereits ganz von selbst fühlt, daß das zeichnerische Dar-
stellen allein hier nicht zum Ziele führt, daß alles mögliche mit herangezogen werden muß. Hierher gehört
natürlich auch der Handfertigkeitsunterricht. u
n All diese Versuche zeitigen oft für sich recht überraschende und erfreuliche Resultate — aber ich kann
das Gefühl nicht los werden, daß dabei vielfach interessante Schulausstellungen herauskommen, der innere
Erfolg für den Schüler aber oft recht zweifelhaft bleibt. Das gilt hauptsächlich von allem, was Zeichnen
und Malen betrifft. Meist bleiben diese Leistungen etwas geschickt Angelerntes, aber nichts innerlich Erlebtes!
q Nur das innerlich erlebte Gestalten führt zu gesunder Tat, zu solidem Geschmack — alles andere
führt nur zu Unwahrhaftigkeit, Überhebung und Überschätzung des eigenen Könnens. n

□ Über einen Musiklehrer ohne Gehör würde man lachen, aber Zeichenlehrer ohne eigenes Empfinden
und sichern Geschmack läßt man unbedenklich zu. n
n Mehr denn je bin ich nach den Londoner Erfahrungen der Überzeugung, daß der grundlegende
Unterricht nicht das Zeichnen sein darf, sondern die Werkarbeit! a
° Der Handfertigkeitsunterricht muß so ausgebaut werden, daß er zugleich gesunde Geschmacks-
erfahrungen herausholt, daß er auf Grund von Material und Werkzeug die einfachen Schmuckbedürfnisse zu
befriedigen weiß. Alles Entwerfen und Stilisieren nach der Natur ist den höheren Fachschulen vorzubehalten
und auch hier nur unter wirklich hierzu befähigten Lehrern. Daß derartiges in den Volksschulen auf Ab-
wege führen muß, zeigen auf der Münchner Ausstellung die an sich interessanten Versuche Kerschensteiners.
d Neben der Werkarbeit hat der allgemeinbildende Zeichenunterricht immer noch ein wichtiges Feld der
Betätigung. Ich habe in den Fortbildungskursen für sächsische Gewerbeschulmänner meine Auffassung
hierin praktisch vorzuführen versucht. o
 
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