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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 22.1911

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Otto, Karl Heinrich: Werktechnische Kompromisse
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https://doi.org/10.11588/diglit.4361#0034
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WERKTECHNISCHE KOMPROMISSE

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bereits überwunden ist. Ob wir an Holz, Horn,
Stein, weiche oder harte Metalle, Bast, Schilf, Rohr,
Fell, Leder oder sonstweiche Stoffe denken, sie sind
im gewissen Sinne überwunden durch die derzeitige
Höhe unseres Kulturlebens selbst, in dem eben der
Lehrling tatsächlich schon auf gehobener Stufe steht.
Lernt er als Schreiner, so wird er allerdings am
Weichholz probieren, als Schlosserlehrling wird ihm
nicht gleich Stahl zum Bearbeiten gegeben werden,
ebenso dem Steinhauerlehrling nicht gleich Granit.
Schon die physischen Kräfte verbieten das; der Geist
ist willig, aber das Fleisch ist schwach; hier genügt
nicht das Wort, die Tat allein lehrt und belehrt. Das
Zerkleinern und Bearbeiten der Materialien und Stoffe
(Holz, Stein, Eisen) geht einer bestimmten Form-
gebung und Vereinigung von Materialteilen voraus;
das einfache Werkzeug (Säge, Beil, Hammer, Meißel)
dient dazu; Spahn, Brocken, Splitter, Grat sind schon
materialtechnische Könfliktszeugen, die Verwendung
von Bindemitteln (Pflock, Zapfen, Nagel, Niet, Schraube,
Leim, Mörtel) wird dann gelehrt. Am Ende steht
das Fertigmachen, das Verzieren, das Schützen und
Konservieren (Schleifen, Bemalen, Polieren, Feilen,
Brünieren, Härten usw.) □
d Das umfaßt zugleich einen Teil der Geschichte
der Technik, der Dienstleistung der Werkzeuge, der
Materialerprobung und -Überwindung und der manu-
ellen Geschicklichkeit und gewiß auch der mensch-
lichen Intelligenz. Es gibt eine Ästhetik, die schon
in der Arbeit geboren wird. Aber alles ist noch
Mühen, Schweiß, Abgerungenes; alles zeigt noch Not-
behelf, Schwere, Materialvergeudung, ja Hilflosigkeit
und Plumpheit. Werkzeugverbesserung zeitigt Mate-
rialersparnis und Formverfeinerung. Im Zweck- und
Nützlichkeitsprinzip erwacht schon das Erwünschte
neben dem Notwendigen: Ebenmaß, Proportion, Form-
fülle. Das Gefühl ist verfeinert, der Tastsinn sucht
nach größerer Befriedigung, das Auge verlangt nach
gefälliger Form und fröhlicher Farbe. Der mensch-
liche Körper wird zu Maß und Kanon für Waffe
und Werkzeug, für Gerät und Schmuck, Man er-
kennt Ursache und Wirkung, Stoff und Kraft; man
erkennt Eigenschaften und Fähigkeiten im toten Gerät
wie im Material (Bogen und Pfeil, Ton und Metall
in ihrem Verhalten im Feuer); der schöpferische Trieb
und die Phantasie hauchen toten Dingen Leben ein.
Leichtigkeit der Produktion schafft Überfluß, Annehm-
lichkeit und Behagen, aber auch Empfindlichkeit und
Feinfühligkeit. Die einzelne Person hebt sich immer
mehr aus der Masse heraus; kostbare Waffen und
Würdeabzeichen kennzeichnen sie. Schließlich wird
auch die Nutzsache, das Gebrauchsgerät, Waffe und
Kleidungsstück prunkend ausgestaltet bis zu jener
Überfülle an Zierat und Beiwerk, die Zweck und
Bestimmung herabsetzt, die Gebrauchsfähigkeit ent-
wertet. Übertriebene Lebenskunst und verallgemeiner-
ter raffinierter Luxus richten ganze Völker zugrunde
oder bringen sie an einen toten Punkt; so die alten
Reiche einschließlich Griechenland und Rom sowie
China. Sie verbrauchen sich schließlich selbst durch
übertriebene Inzucht, durch Entwöhnung von Kampf

und Arbeit, die niederen Kasten oder Sklaven zu-
fallen. So kommt es, daß oft Sieger kulturell zu
Besiegten werden. Die neuen Kräfte steigen immer
wieder von unten herauf, verdrängen alte Kulturen,
um schließlich selbst wieder zu einer eigenen zu
gelangen, in der das Beste der alten Kultur weiter-
lebt. Hier ist wieder Entwicklung, bis die nächst-
höchste Stufe erreicht ist, die stets wieder höchste
Vollendung von Waffe und Werkzeug zum Endzweck
hat. Es scheint fast, als ob der Mensch des Kampfes
und der Arbeit für seinen weiteren Aufstieg nicht
entbehren könne, daß immer wieder auch den Starken
nur durch Entgegenstellung und Beseitigung von
Widerständen jenes Maß von Kulturarbeit möglich
wird, das das erhaltende genannt werden muß. Arbeit
ist Gesetz, höchste Ordnung. □
□ Das können wir lückenlos bis heute verfolgen.
Ein Volk, das politisch ausgeschaltet wird, kann auch
der Kultur keine Großtaten mehr bescheren. Offenbar
müssen heute sowohl das sittliche wie das schönheit-
liche Moment gegen früher aus ganz anderen Ge-
sichtspunkten heraus beurteilt werden. Und zwar
aus höheren, natürlichen und gesetzmäßigen, die wir
inzwischen aus Ursache und Wirkung, aus Aufwand
und Leistung erkannt haben, woran die Naturkräfte
in ganz außergewöhnlichem Maße beteiligt sind. Wo
Waffe und Werkzeug zur Maschine gesteigert werden,
der Fernkampf den Nahkampf verdrängt, in einer
Maschine das Werkzeug und die Menschenkraft ver-
tausendfacht sind, da muß auch das Schönheitsideal
aus anderen, höheren Gesichtspunkten erfaßt werden.
Es beruht in dem Zusammenfließen der größeren
Leistungen in der gesamten Zweckerfüllung, ähnlich
wie wir das Universum mit einem Gottbegriff decken,
in dem alle die kleinen Gottheiten untergegangen
sind. Unser Sehnen zielt nicht mehr auf die einzelne
Blume, sondern auf den Wald ab, nicht mehr auf
Hügelkette und Bächlein, sondern auf das Hochge-
birge und das Meer ab. Auch unsere Eroberung der
Luft ist zu guter Letzt nur eine Steigerung dieser Sehn-
sucht nach höchster Lebensausnützung und Lebens-
erfüllung. □
□ Und so scheint es fast, als sollte unsere bisherige
Auffassung des ästhetischen Wertes eine ähnliche
Wandlung und Steigerung erfahren müssen. Man
kann nicht schlechthin behaupten, daß die Schönheit
der Kleinkunst und Zweckkunst den gleichen Be-
dingungen verfalle wie die hohe Kunst, die doch
keinem eigentlichen Dienen unterworfen ist, sondern
vielmehr tatsächlich uns verpflichtet, uns ihr gegenüber
zu Dienenden und zugleich Verehrenden macht. Man
hat doch, und den Fehler haben wir alle begangen,
die angewandte Kunst mit einem zu tiefsinnigen
Kultus umgeben, d. h. man hat ihr ästhetische Ge-
setze und gefühlsmäßige Ausstrahlung aufgebürdet,
unter denen sie heute bereits seufzt. Wie würde man
ihr sonst bereits wieder so und so viel Zugeständnisse
machen, und eben nur ihr, während man der hohen
Kunst unter höheren Anforderungen, als ihr jemals
gestellt wurden, keinerlei Ausnahmegesetze zubilligt.
Gewiß, Kunst ist Kunst, aber die Schönheit in
 
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