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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0164
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Ich verweise Sie ferner auf das Dezemberheft Ihres
Blattes, worin Sie Einzelheiten von der Werkbundausstel-
lung bringen. Das Zimmer von van de Velde Seite 49 ist
reinen Stils, dann kommt Br. Paul Seite 53. Wer könnte
dieser Zimmerecke die rein künstlerische Wirkung ab-
sprechen? Und doch hat der starke Anklang an das
18. Jahrhundert etwas Peinliches. Paul hat sich offenbar
aus der Verschmelzung der Formen van de Veldes und
Schultze-Naumburgs etwas Eigenes geschaffen, aber eine
Kunstsprache der Zeit hat er damit nicht geschaffen. Und
nun das dritte Bild Seite 51; was soll man dazu sagen?
Wandtischchen und Paneele in einem ganz vertrockneten
Rokoko — beachten Sie den senkrechten Strich in dem
schwarzen Paneelmuster —, kann so etwas überhaupt in
unsere Stilbewegung hineinpassen? Wenn man so etwas
sieht, muß man sagen, die zwanzigjährige Mühe ist um-
sonst gewesen.

Wenn man mich fragt, was das Ergebnis dieser Be-
wegung heute eigentlich ist, so antworte ich folgendes:

1. Der Geschmack ist verbessert worden, die Qualität,
der »ethische Wert« unserer Außenkultur ist in der Haupt-
sache so zurückgewonnen, wie er vor hundert Jahren war.

2. Nach der Imitation der Gotik und Renaissance ist
eine Art Imitation des Barock und Empire eingetreten,
welche Stile vor den älteren den Vorzug haben, daß sie
uns zeitlich näherliegen, und daß in ihnen, namentlich in
dem Stil der ausgehenden Goethezeit, die Bedürfnisse der
neuen bürgerlichen Kultur zu Worte kommen, die immer
noch die unsrige ist. Aber die Formen von damals be-
halten immer etwas Fremdes, der muffige Geruch verwelkter
Kränze strömt von ihnen aus.

3. Was die rein modernen Formen betrifft, so werden
dieselben nur noch von wenigen rein gehandhabt, im
übrigen sind sie jetzt der Sauerteig geworden, der die in
2. genannten Gestaltungen durchdringt und sie einiger-
maßen künstlerisch und modern macht. Die Art dieser
Durchdringung ist ja bei Paul besonders deutlich zu sehen.
Die rein modernen Formen, welche von einer ganzen An-
zahl bester Kräfte noch auf der Dresdner Ausstellung 1906
vertreten wurden, sind nicht verallgemeinert worden, ob-
schon sie recht gut die Kunstsprache der Gegenwart hätten
werden können.

Ich spreche die Hoffnung aus, daß Sie in Ihrem Blatte
zeitweilig auch wieder auf die Reinheit des Stils hin-
weisen werden. Ich weiß wohl, daß diese ein Ideal ist,
daß die anderen Bildungen mehr oder weniger Daseins-
berechtigung haben. Aber immer wieder an das Ideal er-
innern und verhindern, daß man sich allzuweit davon ent-
fernt, scheint mir notwendig. Denn es ist nicht nur
Unvermögen, es ist mangelnder Wille und mangelndes
Rückgrat, daß auch viele unserer besten Köpfe jenem
Ideale untreu geworden sind.

Mit der Hoffnung auf Ihre Zustimmung zeichne er-

gebenst Ihr

Dr. phil. Walter Thomä.

Dem Herrn Einsender kann die Schriftleitung, ohne
auf die Einzelheiten einzugehen, darin beipflichten, daß
es wünschenswert wäre, wieder zur früheren Stilreinheit
zurückzustreben. Das ist aber Sache der Künstler. Der
aufmerksame Beobachter kann hier kaum handelnd ein-
greifen. Es ist aber Hoffnung, daß sich die Künstler selbst
auf ihr früheres Ziel wieder besinnen und ihre Kräfte daran
setzen werden, die scheinbar verflachende Bewegung wieder
auf einen neuen Wellenberg emporzuheben.

AUS DEM WIRTSCHAFTSLEBEN

Dresden-Sebnitz. Die sächsische Kfinstblumenfabri-
kation. In der Herstellung künstlicher Blumen hat sich in
Sachsen eine große Industrie entwickelt, die in ihrer Be-
deutung noch lange nicht genügend gewürdigt wird. Und
doch ist auch diese Industrie berufen, Deutschland vom
Auslande unabhängig zu machen, das bis zum Kriegs-
ausbruch immer noch von deutschen Firmen und deutschen
Käufern auch hinsichtlich der künstlerischen Blumen be-
vorzugt worden ist.

Hier wie auf anderen Fabrikationsgebieten muß der
Krieg Wandel schaffen, er soll einerseits die Deutschen
erkennen lassen, daß ihre eigenen Fabrikate vorzüglich
sind, und er soll andererseits die deutschen Fabrikbetriebe
anspornen zu immer größerer Leistungsfähigkeit, um die
bisher vom Auslande bezogenen Fabrikate im Inlande
herstellen zu lassen.

Mode und Geschmack waren bisher zwei Dinge, in
denen sich der Deutsche vom Auslande leiten ließ, in-
sonderheit die deutsche Frauenwelt. Nichtsdestoweniger
konnte sich doch schon seit etwa sechsig Jahren eine säch-
sische Kunstblumenindustrie mit dem Zentrum in Sebnitz
entwickeln, die sich den Weltmarkt zu erobern begann, als
unsere Heere das letztemal auf französischem Boden stan-
den, als Paris keine Kunstblumen zu liefern imstande war,
da es von unseren Truppen belagert wurde. Damals wußte
man bereits, worauf es ankam: auf die Steigerung der ge-
schmacklichen Leistung. Seitdem ist die sächsische Kunst-
blumenindustrie bestrebt gewesen, sich zu heben, und trotz
mancher Rückschläge und Mißerfolge sich zu einem be-
deutsamen Industriezweig Sachsens zu entwickeln. Auch
die Ausfuhr hat große Fortschritte gemacht, die z. B. im
Jahre 1906 nach den Vereinigten Staaten von Amerika
allein aus dem Handelskammerbezirk Dresden einen Wert
von 2666000 Mark repräsentierte. Im Jahre 1905 betrug
der Wert der aus Frankreich nach Deutschland eingeführten
Kunstblumen ca. 66000 Mark, während in dem gleichen
Jahre aus Deutschland nach Frankreich für ca. 360000 Mark
Kunstblumen geliefert wurden.

Also schon vor zehn Jahren zeigte sich die sächsische
Kunstblumenfabrikation auf einer stattlichen Höhe, so daß
die Ausfuhr sächsischer Kunstblumen die Einfuhr auslän-
discher bei weitem überwog — ein Zeichen dafür, daß
sich die Erkenntnis Bahn zu brechen begann, daß für
Mode und guten Geschmack nicht bloß das Ausland maß-
gebend ist. Aber dennoch konnte die Vorliebe für das
Ausländische gerade in Modedingen bis zum heutigen
Tage bei den Deutschen noch nicht ausgerottet werden!

In Sebnitz sind Tausende Arbeiter und Arbeiterinnen
mit der Herstellung von künstlerischen Blumen beschäftigt,
wobei ihnen ein jährlicher Verdienst von etwa 3 Millionen
Mark zufließt. Auch die Heimindustrie ist daran stark be-
teiligt, denn der Betrieb der Kunstblumenfabrikation ge-
stattet viel Heimarbeit.

Die Kunstblumenfabrikation in Sachsen besteht aber
nicht erst sechzig Jahre. Bereits im 18. Jahrhundert stellte
in Dresden eine Frau, allerdings eine Französin namens
Elisabeth Mouton, künstliche Blumen her, die aber nicht
als sächsisches, sondern als französisches Fabrikat verkauft
wurden, da sie sonst — — — nicht genügend Absatz ge-
funden haben würden. Damals herrschte also schon eine
solche Vorliebe für französische Fabrikate, daß man den
ihnen mindestens gleichwertigen deutschen Erzeugnissen
einen fremden Stempel aufdrücken mußte! Es ist ja be-
kannt, daß es vielen unserer modernen deutschen Fabrikate
ebenso erging — eine traurige Gepflogenheit, mit der aber
nunmehr endgültig gebrochen werden sollte.

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