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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Elster, Alexander: Von den Grenzen einer Kunstgattung
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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0163

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richtet« . . . »Rindfleisch wird, da es meistens nicht ganz
mürbe ist, überhaupt nicht dargereicht« . . .

Das sind so einige Kernsätze aus Peter Altenbergs
Feuilleton . . . was sagen die Männer im Schützengraben
und die Hausfrauen der Kriegszeit dazu? Sie werden sagen:
ach ja, das ist ja der Dichter, der einmal geschrieben hat,
wir sollen aus dem Bett erst dann aufstehen, wenn das
Bett uns anekele!

Die beiden, die wir zuerst Grenzverwirrungen vor-
nehmen sahen, steckten sich die Grenze zu weit und zu
hoch — ein entschuldbarer, ja ein edler Irrtum —, der
dritte steckte sie sehr viel zu tief, und das ist unverzeihlich
vom künstlerischen wie vom kunstgewerblichen Standpunkt.
Das Gesetz, das unverrückbar in den Dingen liegt, rächt
sich an solchen Kommentatoren, die ihr Handwerk schlecht
verstehen und es deshalb im Namen der »Kunst« betreiben.



KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU







SPRECHSAAL

Berlin, den 25. Februar 1916.
Sehr gehrte Redaktion!

Nachdem ich in Heft 4 Ihres Blattes den Artikel Ȇber
die Ausbildung des Kunstgewerblers« von Albrecht ge-
lesen habe, möchte ich Ihnen meine Meinung darüber nicht
vorenthalten, zumal die Abhandlung eine meiner Beleuch-
tungen, eine hängende Schale, als abschreckendes Schul-
beispiel zugrunde legt.

Wenn ich mich früher schon gelegentlich über Artikel
geärgert habe, so habe ich dieses Mal herzlich lachen
müssen, denn der Artikel zeugt von einer solch kompli-
zierten Auffassung von Ästhetik und einer solchen Sucht
zum Spintisieren, daß man sich nur wundern kann, wie
solche Anschauungen existieren. Darin aber, daß solche
Äußerungen eines theoretisierenden Sonderlings resp. ein-
seitigen Fachmenschen publiziert werden, liegt für die
»Sache« eine große Gefahr. Ist es denn nicht übergenug,
wenn solche starre Prinzipien von so vielen Kathedern
herab offiziell gelehrt werden und auf diese Weise un-
endlich viel frisches, urwüchsiges Empfinden unter den
Werdenden zerstört wird? Ich bin gewiß der letzte, der
technische Unmöglichkeiten zulassen würde, aber wissen
Sie, wie in meiner Werkstatt eine Kette auf »richtige
Materialverteilung« geprüft wird? Dann hängt sich mein
eigens zu diesem Zwecke gemästeter Montagemeister an
die Kette, und wenn sie hält, ist sie gut, verbiegt sie sich
oder reißt, ist sie schlecht. Von Statik oder Dynamik haben
weder ich noch meine Künstler allzu viel Ähnung, aber
dafür haben wir gesundes, lebendiges Gefühl für harmo-
nische Verhältnisse, in technischer wie geschmacklicher
Beziehung. Was hat denn unser Kunsthandwerk so gut
vorwärts gebracht neben alle den tausendmal erwähnten
Vorbedingungen? Doch nur die Tatsache, daß der Künstler
wieder natürlich empfinden gelernt hat, daß alles krampf-
haft Gewollte aus seinem Wesen verschwand. Und nun
kommt ein Herr Dipl.-Ing. mit seinen statischen Berech-
nungen und bemüht sich, die absonderlichen Empfindungen,
die er persönlich zufällig in der Kunst hat, von der Mit-
welt zu fordern. Da kann ich einfach nicht mehr mit, da
geht doch schließlich jede Naivität zum Teufel! — Hätte
der Verfasser — seine persönlichen Empfindungen in
Ehren — an Stelle seines langen Artikels das eine alte
Wort niedergeschrieben: »Gefühl ist Alles«, so hätte er
dem Kunsthandwerk damit einen größeren Dienst erwiesen.

Ich stelle Ihnen frei, meinen Brief beliebig zu verwenden.
Mit höflichen Empfehlungen

Richard L. F. Schulz.

Entgegnung

In meinem Aufsatze über die Ausbildung des Kunst-
gewerblers habe ich dargelegt, daß die Kenntnis der Ge-

setze der technischen Mechanik in zweierlei Hinsicht für
den Kunstgewerbler von Nutzen sein könne. Sie trägt
einmal dazu bei, das für das Entwerfen notwendige Form-
gefühl zu fördern und zweitens ermöglicht sie die Be-
rechnung stark belasteter Trageglieder auf Festigkeit.

Diese Auffassung ist durch die obigen Ausführungen
des Herrn Schulz nicht widerlegt worden. Auch müssen
die in seiner Werkstatt ausgeführten Belastungsproben, ins-
besondere für schwere Beleuchtungskörper, als unzuverlässig
erachtet werden, da das Gewicht selbst eines schweren
Menschen hierzu nicht immer ausreicht.

Dr.-Ing. Albrecht.

Nachwort der Schrifüeitung.
(Die Leser mögen selbst nachprüfen, ob ihre Empfin-
dungen sich mit dem ästhetischen Unbehagen des »theo-
retisierenden Sonderlings« decken, oder ob sie an den
unorganisch zusammengeketteten Rokoko-Schnörkeln ihre
Befriedigung finden können.)

Dresden, den 22. Februar 1916.
Sehr geehrter Herr!

Nicht ohne Aufregung konnte ich den Aufsatz in
Heft 5 lesen, welchen der Franzose Gaston Raphael 1912
über deutsches Kunstgewerbe schrieb, und zwar wegen
der bitteren Wahrheiten, die wir da zu hören bekommen,
und von denen ich nicht weiß, warum wir sie uns erst von
den Franzosen müssen sagen lassen, anstatt sie uns selbst
zu sagen.

Seien wir doch ehrlich und geben zu, daß unsere kunst-
gewerbliche Bewegung, die so vielversprechend begann,
im Sande verlaufen ist. Wo ist die Rei n h ei t d e s Sti 1 s hin-
gekommen, welche noch vor fünfzehn Jahren von van de
Velde, Pankok, Olbrich, Albin Müller, Hofmann in Wien
und anderen so glücklich vertreten wurde? Heute über-
wiegt ein Stil, der in der Hauptsache Barock und Empire
ist, das erstere im Außenbau, das zweite an den Möbeln.
Und wenn wirklich einmal zwischendurch ein Landhaus
oder ein kunstgewerblicher Gegenstand von all diesen An-
klängen frei ist, so genießt er keinen Vorzug.

Auf Schritt und Tritt kann man in einer Stadt wie
Dresden beobachten, wie an neuen Hausfronten das barocke
Rollwerk, in einer Art moderner Mäßigung, die Herrschaft
führt; über den Läden, wo man eine der Architektur ent-
sprechenden Schrift erwarten sollte, sieht man jetzt eine
schwächliche Kursivschrift, welche einem »»Frauenzimmer-
taschenkalender« des 18. Jahrhunderts entnommen zu sein
scheint. Die ganze einstige Schrifterneuerung Eckmanns,
Behrens' und anderer ist offenbar ein Schlag ins Wasser
gewesen. Und ähnliches wie von der Schrift, gilt vom
Ornament, überall ein neues Hinneigen zur Stilimitation.
Mir fehlt hier der Raum, um die Einzelfälle alle aufzu-
zählen, welche in dieser Hinsicht Anlaß zur Klage geben.

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