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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Zu den Arbeiten von Anneliese Wildemann, Bonn
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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0128

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Handstickerei auf weißem Atlas:
(Abb. S. 109).

Verkündigung

Das Ganze ist ein Spiel der Technik des soge-
nannten Schraffierens, wie es bei der Paramenten-
stickerei häufig angewandt wird. Auf weißem Atlas
sind zarte einzelne Seidenfäden gespannt, die wie ein
Spinnweb so dünn über die durchscheinende weiße
Fläche hingleiten. Das Ganze ist ein zartgoldener
Frühlingsabend mit einem Himmel vom hellsten Zi-
tronengelb bis zum kräftigsten Orange. Der Engel
kommt aus diesem Golddunst in den Raum geschwebt
wie eine Wolke. In Wirklichkeit heben sich die
orangebräunlichen Konturen der Gestalten kaum ab
von den zarten Farben des Grundes. Diese viel zu
starke Wirkung bei der Aufnahme zerreißt die ganze
einheitliche Zartheit, die dem Original eigen ist. Das

mattbiaugraue Kleid der Maria hebt sich von dem
gelblichen Grund, während ihr Heiligenschein zu dem
aufdämmernden Grün knospender Bäume sich mit dem
Himmel vereint.

Die Flucht nach Ägypten (Abb. S. 108).

Viel stärker in der Farbe. Ein Himmel, oben tief-
blau beginnend, blaßt er ab, um hinter dem orange
glühenden Wüstenberg zu verschwinden. Gegen die
heißen sandigen Farben der Landschaft und des frisch
gesproßten Grases im Vordergrund heben sich die
stumpfen Gewandfarben des Joseph und seines Tieres
ab. Der Maria matt rötlich fliederfarbenes Kleid ver-
mittelt zu den hochroten Blüten, die den palmwedel-
artigen Baum schmücken. Die Technik ist die gleiche,
nur der stärkeren Farbigkeit entsprechend etwas dichter
in der Stichlage.



KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU







LITERATUR

Der soziale Gedanke des »Deutschen Warenbuches«.

Herausgegeben von der Dürerbund-Werkbund-Genossen-
schaft in Hellerau. Preis M. 2,50.

Mitten im Kriege ist dieses Buch entstanden. Zwischen
den Schlachten setzt es ein und bringt den ersten, müh-
samen Versuch, den deutschen Formen Gültigkeit zu geben.
Was dies gerade heute bedeuten kann?

Zunächst den Ausdruck des Kulturgewissens, der sich
bei allem unserem Widerstand — in seiner Kraft im Innern
unseres Reiches wach erhält und pfleglich sammelt, was
nach dem Kriege den Heimgekehrten, den Zurückgebliebenen
zum Ausdruck ihres Alltags dienen mag. Denn Alltags-
dinge sind es ja, die in dem Buche sich versammeln und
als der Grundstock des Gebrauches von jedermann zu
werten sind und auch gewertet werden sollen. An Tassen,
Tellern, Messerbänken, Leuchtkörpern, Bohnerbürsten,
Kleiderbügeln kann zwar die Künstlerphantasie sich üben:
Über dem Nutzwert des Gebrauches wird die Kunst nur
um so kleiner scheinen, je stärker uns der sachliche Gehalt
als solcher in die Augen springt. Schon unter diesem
Blickpunkt angesehen, ist es ein ungeheuerer Gewinn, daß
alle Durchschnittsformen Typen sind. Der Künstler, frei
vom Druck des Sozialen, im bleibenden Formalen stets ent-
haltenen Zwanges, kann sich nach Lust und Laune den
Gestalten geben, die seine individuelle Sphäre sind und des-
halb seiner Kraft am besten dienen.

Auch für den Fabrikanten ist, ob er sich noch so sehr
dem Bleibenden, das in dem Warenbuch zum erstenmal
entgegentritt, mit seinem längst geübten Unternehmer-
wunsch, der nur im Wechsel die Gewinne sieht, zunächst
mit aller Kraft entgegenstemmt, im Typus der Verdienst
enthalten. Wird schon das Auf und Ab der Konjunkturen,
die neurasthenische Betriebsamkeit des Wirtschaftsseins,
durch jenen Fortsatz unterbrochen, der nach dem Dauernden
sich orientieren muß, bringt also der gleichmäßige Rhyth-
mus der Maschinen, des Materialverbrauches, der Kosten-
deckung in den Etat verstärkte Ungebrochenheit hinein,
läßt er, soferne es den Absatz gilt, die Unternehmerkräfte
freier werden, die sich bisher um ihre »Neuheit« sorgen
mußten, stellt er sonach die Lust am Weltgevj'mn in eine

neue, ungekannte Sphäre ein, so bringt das stärkere Be-
hagen am sicheren Verdienst auch jene innere Beharrung
nach sich her, die man als Seßhaftwerden des Kulturge-
wissens bei Fabrikant und Händler preisen kann.

Daß in den nur sehr kurzen Wochen, seit jenes Buch
die Welt erblickt, sein Sinn und Inhalt angegriffen wurde,
spricht nur für den Gehalt des neuen Werkes. So bringt
das Modeblatt »Konfektionär, in seiner letzten Nummer
vor Neujahr aus Münchner Kreisen einen Brief, der mit
dem Typenstreben sehr beleidigt tut. Der Feind der Nou-
veautees wird angegriffen. Warum, das wird mit einer
Offenheit gesagt, die jenen Arbeitsherren alle Ehre macht,
die von der »Neuheit« im Gewerbe, zu deutsch der »Ober-
flächlichkeit« der Konjunktur wie von dem Leichtsinn der
Verbraucher leben. Denn in den »Nouveautees« liegt der
gemünzte Zoll des Konsumenten einbeschlossen, den er
dem Konfektionsbeflissenen zahlen muß, um nur sich »nach
der Mode« zu bekleiden. Und wehe dem, der jenen »ewig
Jungen« mit einem Typ ins Handwerk pfuscht, den Markt,
die »Chance des dessins«, sei es auch in völlig anderen
Waren, stören will. Er wird als unwirtschaftlich angezeigt,
als Feind der Fruchtbarkeit im kreisenden Gewerbe. Wie
seltsam der Vergleich der Moden mit den Objekten des
Alltagsgewerbes wirkt, die in dem Warenbuch ja einzig
einbegriffen sind, das wird von diesen »Münchner Kreisen«
nicht bemerkt, die, wie aufs rote Tuch der Stier, mit aller
Macht das Wort vom »Typus« überrennen.

Indessen aber mag es sein, daß jene seltsam aufge-
störte Schicht im ewig hastenden Gewinn den stillen Atem
ganz verloren hat, der sie den Rhythmus des Geschäftsge-
barens in Ruhe und Voraussicht prüfen läßt. Verwunder-
lich wär's weiter nicht bei einem Blatt, das noch im
Winter dieses Jahres (19. 12.) charaktervoll die ;neuen
Strohhutformen preist, die es vergnügt »The Millinery
Trade Review« mit wahrer Aufschrift des Vorlageblattes
entnimmt und deutschen Lesern zu Gemüte führt.

Erstaunen weckt es nur, daß ihm die »Münchner Post«1),
ein sonst politisch sehr gewandtes Blatt mit kluger Einsicht
für Kulturgeschehen, auf diesen minderwertigen Spuren,
wenn auch vollkommen unabhängig, folgt. In drei ge-

1) Münchner Post v. 17., 21. und 23. Dezember 1915.

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