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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Zimmermann, Waldemar: Angewandte Kunst und soziale Reform
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0196
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M. L. Folcardy, Berlin

Pura Purissima

M. L. Folcardy, Berlin

Faune

sozialerziehliche Kräfte und Werte weithin ausstrahlen,
so wie William Morris und vor allem unser Trübner
es meinen, wenn sie von »der hohen Mission der
Kunst, an der Veredelung der breiten Massen mit-
zuwirken,« in andächtigen Worten sprechen.

In solcher Gedankenreihe ergibt sich sogar eine
besonders innige Beziehung der Sozialpolitik zur Kunst,
zumal zur angewandten Kunst.

Kunst ist nicht bloß Phantasiedienst, sondern
Kunst ist Können, ist der Kultus des geläuterten, innig
gepflegten Schaffens von etwas Tüchtigem, Echtem,
innerlich Wahren, in dem Inhalt und Form möglichst
vollkommen einander entsprechen sollen. Die Kunst
und besonders die angewandte Kunst will die Sache,
das Problem, den Stoff, der sie beschäftigt, mit Zweck
und Form in einen reinen Einklang, unabhängig von
falschen Effektspekulationen und fremden, nicht in
der Sache selbst liegenden Rücksichten, bringen. Das
Objekt seinem eingeborenen Wesen entsprechend zu
gestalten und einem höheren Zwecke zuzuführen, ist
aber auch der Leitsatz für die Sozialpolitik gegenüber
ihrem Objekt, der menschlichen Arbeit. Sie will den
arbeitenden Menschen und seine Arbeit mit seinen
höheren sittlichen und ästhetischen Lebenszwecken
in reineren Einklang bringen; sie will den Menschen
und seine Arbeit nicht bloß mehr geschäftlich als
Mittel zum Geldverdienen behandelt und gewertet
wissen, sondern will die Arbeit als solche, um ihrer
selbst willen und im Hinblick auf ihren höheren
Produktionszweck, ihren gemeinnützigen Gebrauchs-
zweck für die Volksgesamtheit würdigen; sie will da-
durch der Arbeit selber als treuer Pflichterfüllung wie
als Leistung eine andere Wertung im Bewußtsein des
Arbeitenden selbst wie des Käufers der Arbeit ver-
schaffen. So hofft sie zugleich das Verhältnis des Ar-
beiters zu seiner Arbeit und zum Arbeitgeber ver-
edelnd zu beeinflussen und die Freude an der ehr-
lichen und gediegenen Arbeit, die vollendet ihrem
höheren Zwecke zustrebt, wieder beim Arbeiter selbst
und beim Gebraucher der Arbeit, wie einst in vor-
kapitalistischen Schaffenszeiten zu beleben.

Der Weg zu diesem Ziel ist schwer und weit;
ein langer, zäher sozialethischer Erziehungsprozeß an
Arbeitern, Arbeitgebern und Käuferschaft ist dazu
nötig. Mit sozialpolitischen Mitteln allein ist er nicht
durchzuführen; vielmehr wird der Erfolg ebenso sehr
von gleichzeitiger sittlicher und ästhetischer Beein-
flussung des Publikums abhängen. Mit Zuversicht
war die Bahn zum Kampfe für die Adelung der
Arbeit, für die Wertarbeit und Edelware (»Qualitäts-
arbeit«) im letzten Jahrzehnt beschritten worden. Aber
was der Dürerbund, der Werkbund, die Kunsthand-
werkstätten, die Gartenstadtsiedelungen, die Volks-
kunstbestrebungen usw. in den Jahren vor dem Kriege
mühsam angebaut hatten an Verständnis für Wert-
arbeit, an Geschmackskultur, das hat durch gewisse
Erscheinungen der »Kriegskunst« oder der Kriegs-
gelegenheitsarbeit vielfach eine schwere Störung, einen
Rückschlag erfahren. Die Sensation, die an Gefühls-
erregungen anknüpft, und die geschäftliche Spekulation
auf das Sensationelle haben sich des Marktes für

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