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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

DOI article:
Zimmermann, Waldemar: Angewandte Kunst und soziale Reform
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0195

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M. L. Folcardy, Berlin

Tänzerin

dings keinerlei Verbindungslinien zwischen diesen
beiden gesellschaftlichen Lebenspolen finden. Aber
solche zugespitzte Betrachtung entspräche doch nur
einer sehr einseitigen Auffassung von Kunst und
Sozialpolitik. Die neuzeitliche Sozialpolitik will mehr
als bloßer Elendsdienst sein; der wirtschaftliche Massen-
zwang ist für sie nicht Selbstzweck, sondern sie strebt
nach Hebung der gedrückten Massen auf eine gesunde
Lebensstufe, auf der der arbeitende Mensch Kraft und
Frische gewinnt, seine Persönlichkeit frei zu einem
schöneren, reicheren Menschentum zu entfalten, auf
der er empfänglich wird für den Schimmer einer
höheren Welt der Idee und des Geistes. Das ist die
Idealität des sozialreformerischen Ringens und Schaffens,
auch dem Massenmenschen zu einer Veredelung des
Daseins die Kraft zu geben. Die soziale Frage ist für
den modernen Sozialpolitiker nicht bloß eine Magen-

frage, sondern, wie der Allmeister Schmoller schon vor
zwanzig Jahren betont hat, auch eine Bildungsfrage.
Und hier reichen sich Sozialpolitik und Kunst die
ungleichen Hände. Die soziale Reform schafft der
Kunst erst in den breiten Massen des Volkes einen
empfänglichen Nähr- und Resonanzboden, und die
Kunst gedeiht, von den für sich einzig, fast zeitlos
dastehenden Schöpfungen überragender Genies ab-
gesehen, da am besten, wo sie sich auf ein gesundes,
sinnenfrisches, kultiviertes Volk in breiter Schicht
stützen kann. Kunst ist hierbei allerdings nicht bloß
als ein artistisches Duftgebilde für sensitive Nerven
verstanden, sondern als ein soziologisches Ausdrucks-
produkt des Zeitgeschmacks, an dem die Sozialpolitiker
neben den ästhetischen auch die sittlichen und kul-
turellen Seiten zu erfassen suchen, ein Sinnen und
Schaffen, von dem wichtige gesellschaftsfördernde,

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