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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

DOI Artikel:
Zimmermann, Waldemar: Angewandte Kunst und soziale Reform
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0194

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M. L. Folcardy, Berlin

Maria Stuart

»Vergißmeinnicht in einer Waffenschmiede —

Was haben die hier zu tun?« —
so könnte man mit den Worten eines feinsinnigen
älteren Gedichts von Richard Dehmel fragen: Sozial-
reform — was hat die mit einer Kriegskunstausstellung
zu tun? Die Antwort ergibt sich aus dem besonderen
Wesen der Wanderausstellung. Es ist eine Erziehungs-
ausstellung für angewandte Kunst, die durch eine ge-
drängte Auswahl anregender vorbildlicher und warnen-
der schlechter Beispiele den Führern des Volkes und
den großen Massen den Sinn erwärmen und den Blick
schärfen soll für den weitgreifenden Einfluß des durch
die Kriegsauf gaben bestimmten künstlerischen und
kunstgewerblichen Schaffens auf die Geschmackskultur
im deutschen Bürgertum. Was für ein tieferes Interesse
haben nun gerade die Sozialreformer an solcher Ver-
anstaltung für künstlerische Geschmackserziehung?

Sind Kunst und Sozialpolitik nicht ihrem Grund-
wesen nach vollkommene Gegensätze? In der Kunst
suchen wir das Ausleben der Individualität im ur-
eigenen Gestalten; sie soll das Auswirken des persön-
lichsten Könnens sein. Sozialpolitik dagegen ist
Massenregelung, die wohl oder übel mit Zwangs-
normen auf Beschränkung individueller Willkür hin-
wirken muß. Die Sozialpolitik dreht sich zunächst um
die elementarsten materiellen Nöte der Massen, es
ist zumeist wirtschaftlicher Sorgendienst an den Ge-
drückten und Schwachen, die auf der Schattenseite des
Lebens hausen, während die Kunst im Schönheitsdienst
aufgeht und von der Idealität phantasievollen Sinnens und
Gestaltens durchtränkt ist. Hier Persönlichkeit, Freiheit,
Farbigkeit — dort Masse, Gebundenheit, Alltagsgrau!

Wer so die Gegensätze zwischen Kunst und Sozial-
politik in schärfster Zuspitzung betrachtet, kann aller-

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