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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Novemberheft
DOI Artikel:
Wahl, Hans: Neuerwerbungen des Goethe-Nationalmuseums im Jahre 1919
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0118

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Louise Seidier. Minchen Herzlieb.

Ölgemälde um 1810.

nach dem lebenden Goethe von 1807 hinüber, so daß man
versucht sein könnte, anzunehmen, Klauer habe, wie später
Weisser, einen Abguß nach dem Leben zugrunde gelegt,
wenn man nicht aus seinen übrigen Werken zu ersehen
vermöchte, daß Klauer in glücklicher Stunde bei seiner
naiven, akademiefernen Ehrfurcht vor der Natur dem Ob-
jekt mehr Lebenskraft abzugewinnen verstand als mancher
in Traditionen befangene, Vorbildern nacheifernde nam-
hafte Künstler seiner Zeit.

Daß die literarische Bedeutung eines neuerworbenen
Stückes hier gelegentlich den absoluten Kunstwert über-
wiegen darf, ist ohne weiteres einleuchtend. Eine wie
tüchtige Malerin in ihrer Zeit die aus ihren reizvollen
Erinnerungen bekannte LouiseSeidler (1786 — 1866)
auch war, ihr farbenfrisches Bildnis der W i 1 h e 1 m i n e
H e r z 1 i e b erhält doch erst erhöhten Sinn durch
Goethes nahes väterliches Gönnerverhältnis zu der
Künstlerin und deren enge Mädchenfreundschaft zu dem
dargestellten Urbild der Ottilie in Goethes „Wahlverwandt-
schaften“, das der fast sechzigjährige Dichter nach eignem
Bekenntnis „mehr als billig“ geliebt hat. Der „Text“ zu
dem Bilde war seit fast 50 Jahren aus den oben ge-
nannten Erinnerungen bekannt: „Minne“ — so erzählt
Louise Seidier — „war die lieblichste aller jungfräulichen
Rosen, mit kindlichen Zügen, mit großen, dunkeln Augen,
die — mehr sanft und freundlich als feurig — jeden
herzig unschuldsvoll anblickten und bezaubern mußten.
Die Flechten glänzend rabenschwarz, das anmutige Ge-

sicht vom warmen Hauche eines frischen Kolorits belebt,
die Gestalt schlank und biegsam, von schönstem Eben-
maß, edel und graziös in allen ihren Bewegungen: so
steht Minne Herzlieb noch heute vor meinem Gedächtnis.
Ihr Anzug war stets einfach, aber geschmackvoll; sie
liebte schlichte weiße Kleider; in einem solchen habe
ich sie lebensgroß in Öl gemalt.“ Dieses
liebliche Mädchenbildnis konnte aus Familienbesitz er-
worben werden. Es ist für das Museum deshalb be-
sonders wertvoll, weil es Minchen Herzlieb etwa zur
Zeit ihrer Beziehungen zu Goethe darstellt.

Aus der Nähe in die Ferne! Goethes Verhältnis zu
Byron ist bekannt und öfter dargestellt Beide behan-
delten sich mit ausgesuchter höchster Achtung. Eine
Byronbüste schmückte schon Goethes Wohnräume. Nun
hat eine glückliche Schenkung auch das vielleicht letzte
Bildnis des genialen Lords in den Besitz des Museums
gebracht. Es ist bekannt, daß Byron vor Antritt seiner
verhängnisvollen Expedition nach Griechenland (1823—24)
seinen Freunden in Genua Andenken überreichte. So
mag er auch dem englischen Konsul Barry damals als
Dank für die Ausrüstung seines Schiffs dieses Bild über-
geben haben, das hier zum ersten Male veröffentlicht
wird. Es trägt die Rückeninschrift: ,Lord Byron taken
in 1823 the year he left Genva for Greece“ und stammt
aus dem Besitz der Familie des Konsuls Barry. Der
wohl italienische Maler dieses zarten Elfenbeinblatts
wußte kaum etwas von dem dämonischen Pessimismus
des Dichters Byron, ln das fast knabenhafte Porträt mit
dem schmalen Backenbart hat er nichts Literarisches
hineingetragen und kennzeichnet so den kindlich unreifen
politischen „Befreier“ Griechenlands wahrer als die
meisten Zeitgenossen.

Wollten wir zum Schluß noch etwas aus den kleineren
Neuerwerbungen herausgreifen, so mag neben einem

Lord Byron.

Miniaturgemälde auf Elfenbein.

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