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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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1. Januarheft
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Schuchhardt, Carl: Der Baum als Segel
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0184

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schafft werden. Das kretische Museum hat längst eine
hohe Summe für seine Wiedererlangung ausgesetzt.

Der Ring stammt aus dem Mykenischen Kultur-
kreise und sein Bild ist höchst interessant aber schwer
zu deuten. Einhelligkeit herrscht bisher nur darin, daß
es eine Kultszene darstellt. Hoernes, der die meisten
früheren Urteile zitiert, (Wiener Prähist. Ztschr. IV 1917
S. 33 Anm. 1) meint, es handle sich um eine Kultgestalt,
die mit zwei Attri-
buten, dem Baume
und dem Schiffe aus-
gestattet sei. Karo
(Archäol. Anz. 1909.

101) sieht eine Göttin
in dem Boote nach
links fahren, der
Baum steht nach
seiner Ansicht nicht
im Boote, sondern
dahinter am Lande.

Auch A. J. Reinach
(Revue archäol. 1910.

32) spricht von einer
Göttin, glaubt aber,
daß sie nach rechts
fahre. Lichtenberg
(Die ägäische Kultur
S. 103) läßt die Ge- Abb. 3. Das Segeln miU

stalt im Schiffe den

Baum verehren, trotzdem sie ihm den Rücken
wendet.

Wenn bei dem Schiffe der hochragende Pferdekopf
das Vorderteil ist und das Schiff somit nach links fährt,
würde der Baum vorn im Schiffe stehen und die Frau
dahinter sitzen. Man könnte dann versucht sein ihre
Haltung so aufzufassen, daß sie in der erhobenen Hand
ein an dem Baume befestigtes Seil hält und die andere
auf die Ruderbank gegen den Baum hin stemmt, um
sich besser gegen den Winddruck zu halten. Gegen
eine solche Deutung tauchen aber zwei Bedenken auf.
Einmal ist nach der Analogie ägyptischer Boote, die auf
der einen Seite wie unsers flach in eine Papyrusdolde
enden, während die andere hoch ist, diese hohe Seite
die hintere; unser Schiff fährt also nicht nach links

sondern nach rechts, und die Frau sitzt demnach nicht
hinter, sondern vor dem Baume, wobei sie ihn nicht in
der angenommenen Weise halten kann. Zum anderen
ist das Gebaren der Frau im Boote das in der kretisch-
mykenischen Kultur ganz übliche der feierlichen Be-
grüßung von göttlichen Personen oder Zeichen, beson-
ders beim Hintreten vor den Altar.

Aus diesen Gründen dürfen wir, meine ich, nicht

annehmen, daß die
Frau den Baum hält.
Aber die bisherigen
Deutungen gefallen
mir trotzdem nicht.
Wenn die Frau an-
betet, ist sie selbst
schwerlich eine Göt-
tin. Und daß sie
so mutterseelenallein
in ihrem Schiffchen
dahin fährt ohne
daß man sieht, wie
dieses fortbewegt
wird, ist doch auch
sonderbar. Aus einem
Vortrage von Dr. Max
EbertinderAnthropol.
Gesellschaft (April
dem Baum in Südamerika. 1919) der noch nicht

gedruckt ist, haben
wir kürzlich über „die Bootfahrt ins Jenseits“ allerlei Neues
gelernt, so daß sie schon im kretischen Glauben ihre Stelle
gehabt haben wird, da der Totenfigur auf dem bemalten
Sarkophage von Hagia Triada von dem ersten der Heran-
tretenden ein Boot dargebracht wird. Wie, wenn auf
dem Ringbilde eine solche Fahrt ins Jenseits gemeint
wäre, bei der die Fahrende ihre neuen Gebieter schon
von ferne begrüßte? Der Baum könnte vielleicht grade
dann im Schiffe gedacht werden, als bei dem Gespenster-
schiff verbliebene uralte Tradition des Segelns. Aber
Karo wird richtig gesehen haben, daß er am Lande steht.
Seine Umhegung ist ganz die sonst übliche der heiligen
Bäume, für eine Befestigung im Schiffe spricht das nicht.
Wir werden das Bild also jedenfalls nicht mit auf die
Liste der Baumsegel-Darstellungen setzen dürfen.



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Abb. 4. Platte eines Goldringes von
Mochlos. Etwa 3 fache Vergrößerung.

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