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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Februarheft
DOI Artikel:
Rosen, Georg von; Leinburg, Mathilde von [Übers.]: Künstlererinnerungen an Carl Plagemann, [2]: (Autorisierte Überstzung aus dem Schwedischen von Mathilde Freiin v. Leinburg)
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0258

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gefallen, und da die beschränkte Anzahl solcher Arbeiten,
die von dem verführerischen Manne noch existieren, von
Europas Kunstkennern ja aufs Tüpfelchen gekannt und
verzeichnet sind, war es klar, daß die Nachricht einer so
wichtigen Entdeckung das größte Aufsehen erregen mußte.
Dazu bekam man zu hören, daß der auf das Kunstwerk
spekulierende, vorsichtige und methodische Engländer
den Verkauf nicht abschließen wolle, ohne von kom-
petentester Stelle eine offizielle Bestätigung für die
Echtheit und den Wert des Gemäldes erhalten zu
haben, weshalb er sich zu diesem Zwecke an die päpst-
liche Kunstakademie mit der Bitte um ihr Gutachten
gewendet hatte.

„Ich hatte Eile mit meinem neuen Gemälde, arbeitete
hinter verschlossenen Türen wie ein Neger bis in den
Abend, dann erst ging ich, um Mittag zu essen, in eine
nahegelegene Trattoria, zu einer Zeit, wo die meisten
Gäste schon wieder gegangen waren, weshalb ich über
diese Bildergeschichte nur flüchtig reden hörte, aber
natürlich geschah das nicht, ohne daß zwischen diesem
neuen Leonardo und meiner eigenen, im Herbst ent-
standenen Madonna eine bestürzte Ideenassociation statt-
gefunden hätte. Doch vertiefte ich mich gerade nicht in
den Gedanken darüber, da, wie gesagt, die Sache mich
ja nichts weiter anging, und ich wollte auch beim
Kunsthändler nicht nachfragen, der sich ja so be-
flissen gezeigt hatte, mein Gemälde für sich selbst zu
behalten.

„Indessen wurde ich plötzlich eines Tages durch ein
Schreiben der Academia San Luca überrascht, die
in den höflichsten Worten und mit Berufung auf mein
allgemein bekanntes Verständnis für alles, was alt-
italienische Kunst betraf, mich einlud, mich an einem
gewissen Tage zu festgesetzter Stunde im Versammlungs-
raum der Akademie einzufinden, um ein neuentdecktes
Gemälde, über dessen Kauf ein ausländischer Kunstlieb-
haber in Unterhandlung stehe und sich das Urteil der
Akademie darüber ausgebeten hatte, zu besichtigen und
meine Ansicht darüber abzugeben.

„Ja, das war ja ein sehr gütiges Vertrauen, aber
wenn das nun, zufälligerweise, meine eigene arme Ma-
donna sein sollte, der die Sache galt, war ja der Auftrag,
sich darüber zu äußern, absolut unausführbar und die
Situation daher äußerst fatal! Auf der andern Seite jedoch
war die Einladung der Akademie so schmeichelhaft, daß
es sehr schwer war, Nein zu sagen; folglich beschloß
ich endlich, nach vielen „Wenn und Aber“ mich einzu-
stellen, indem ich mich damit beruhigte, daß ich im
schlimmsten Falle ja immer noch einen Ausweg finden
würde, von einer Urteilsabgabe loszukommen.

„Zu festgesetztem Datum und Glockenschlag trat ich
also, ziemlich fieberhaft, durch das Tor des alten ehr-
würdigen Gebäudes und wurde zum Festsaal hinaufge-
wiesen, wo ich eine Versammlung künstlerischer Berühmt-
heiten antraf, deren einige ich bereits kannte; den andern
wurde ich vorgestellt. Die Mehrzahl der Anwesenden
stand in einem dichten Haufen beisammen, sichtbarlich
vor dem Gegenstand der bevorstehenden Diskussion, der
an einem der Fenster auf einer mit roter Seidendraperie

behangenen Staffelei aufgestellt war. Endlich wurde
zwischen den Rücken ein kleiner Platz frei, durch den
ich mich vorwärtsdrängen konnte, und mit einemmale
stand ich wahrhaftig vor — meiner eigenen Muttergottes!

„Es gab mir ordentlich einen Riß durch und durch
und ich wäre am liebsten davongelaufen, aber sogleich
sah ich ein, daß das unmöglich war, denn schon wurde
die Session eröffnet, und ich begnügte mich, in eine
Fensternische zu kriechen und den Gang der Ereignisse
abzuwarten.

„Der Vorsitzende eröffnete die Zusammenkunft, in-
dem er ihren Anlaß kurz erklärte, meldete, daß einige
der anerkanntesten Sachverständigen Roms sich bereit
erklärt hatten, an der Untersuchung dieses merkwürdigen
Falles teilzunehmen, und bat schließlich die Anwesenden,
es möge jeder, nach gewissenhafter Prüfung, über das in
Frage stehende Kunstwerk seine Meinung aussprechen.

„Das wurde nun, man darf es glauben, eine lebhafte
Diskussion; es gab sowohl eine „Rechte“, die das Ver-
zeichnis von Leonardos Schriften heilighielt, als auch
eine „Linke“, die nichts Böses dabei fand, daß eine neue
Nummer hinzukam. „Die Rechte konnte sich nicht ge-
nügend aussöhnen mit „den zu warmen Schatten“, „dem
schon so runden Faltenwurf“ und „dem allzukräftigen
und naturalistischen Hintergrund“, während hingegen die
Linke „die strenge Zeichnung und Modellierung“, „die
klassischen Hände und charakteristisch langgezogenen
Augen“ hervorhob.

„Die Mehrzahl der Parteien beteiligte sich am Wort-
wechsel, aber als schließlich die Reihe an mich als
„Sachverständiger“ kam, entschuldigte ich mich damit,
daß nach Anhören so vieler verschiedener Urteile, die
hier von so erfahrenen, gelehrten und berühmten Männern
ausgesprochen waren, ich mich zu unsicher fühle, mich
zu äußern, weshalb ich bäte, meine Stimme niederlegen
zu dürfen.

„Damit war ich heraußen aus der Patsche, und es
wurde zur Votierung geschritten.

„Mit, wie ich mich zu erinnern glaube, zwei Drittel
Majorität wurde das umstrittene Gemälde für eine echte
Arbeit Leonarda da Vincis erklärt, die also jetzt und für
alle Zukunft in das Lebenswerk des großen Florentiners
eingereiht sei!

„Man kann sich wohl denken, wie stolz und froh
mich dieses Urteil machen mußte. Etwas hervorgebracht
zu haben, das von völlig kompetenten und unparteiischen
Kunstrichtern als ebenbürtig erklärt wurde mit dem, was
einer der Ersten der Kunstgeschichte geschaffen, das
geschieht einem nicht alle Tage! Ich war fast gerührt,
fand aber gleichzeilig die Situation so furchtbar komisch,
daß es mir Mühe kostete, ernst zu bleiben, als ich beim
Ausgang hinausgedrängt wurde mit all diesen weisen
Alten, die da feierlich dahinschritten als Mitwisser davon,
daß die Welt nun einen verschwundenen Schatz ent-
deckt habe.“

Und bei der Erinnerung daran lachte der fröhliche
Meister so herzlich, daß die noch immer untadeligen
Zahnreihen nur so glitzerten.

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