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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 1.1919/​20

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2. Maiheft
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Schou, Charles J.: Über die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Grundlage der Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.27815#0359

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d e m i e, wenn auch ihre mangelhafte Bestimmung des
Subjekts keine genauere Formulierung zuließ. Bei
Leibniz aber spüren wir die richtige Tendenz, in der
man zugleich den Erfinder der Infinitesimalanalyse er-
kennt. „Das Subjekt, wie es sich in der künstlerischen
Produktion bestimmt, begnügt sich nicht damit, als
Sammelpunkt der Strahlen, die von außen stammen, zu
gelten; es bezeichnet zugleich den Ursprungspunkt, von
dem sie ausgehen: „Jl y a encore dette difference entre
les ämes ordinaires et les esprits que les ämes en
general sont des miroires vivants ou images de l’univers
des cr£atures, mais que les esprits sont encore imoges
de la Divinite meme, ou de l’auteur meme de la nature,
capables de connoitre le Systeme de l’uni-
vers et d’en imiter quelque chose par des
echantillons architectoniques: chaque
esprit etant comme une petite divinite
dans son d6p arte ment.“ So erhebt sich die
Individualität auf ihrer höchsten Stufe über die Nach-
ahmung des Geschaffenen zum Bewußtsein ihrer ur-
sprünglichen schöpferischen Kraft. Als Gewähr für
diesen Anspruch gilt zunächst, nach dem Grundgedanken
des Idealismus, die Tätigkeit der reinen Erkenntnis, in
der wir das Universum „nach Maß, Zahl und Gewicht“
architektonisch von neuem entstehen lassen; zugleich
aber wird im Hinweis auf die freie Vorstellungsbildung
unserer Träume die bildende Phantasietätigkeit als ein
eigenes Gebiet anerkannt, in das sich die Selbständigkeit
des Ich charakteristisch offenbart“.*)

Hier fängt nun Kant an. Und das Große und
Neue besteht darin, daß er zum ersten Mal in der Ge-
schichte der Kultur die Aesthetik streng systematisch
mit der Wissenschaft verbindet. In der Bestimmung
des Subjekts, als das in der Wissenschaft objektiv ge-
wordene Bewußtsein, mußte der Weg zur Kunst durch
die Wissenschaft gehen, mußte auf kritisch-
idealistischer Basis begründet werden. So
ergibt sich kein anderer Weg, als der von Kant ent-
deckte; aber es ist der Weg durch die Wissenschaft!
So erhebt sich hier, wie auf allen Gebieten der Kultur,
die Forderung: zurück zu Kant!

Diese Ansicht tritt in den Arbeiten hervor, in welchen
Hermann Cohen, der Gründer der „Marburger
Schule“, Kants kritisches Streben ausgearbeitet, er-
weitert und fortgesetzt hat. ln seiner Aesthetik hat

») E. Cassirer: Leibnitz’ System etc.“ (Seite 469.)

Cohen den Architekturbegriff in „Verbindung“ mit der
Wissenschaft formuliert, und die von ihm gegebene
Ableitung des Begriffes ist die meist erschöpfende, die
je geschrieben worden ist. Aus dieser heraus ergibt
sich der Architekturbegriff als ein Reihenbegriff, der
seine Bestimmung in Zusammenhang mif den wissen-
schaftlichen Reihenbegriffen und als Analogon zu ihnen
(in Ethik und Theoretik) findet,

6. Aber für die Architektur muß die Grundlegung
in der Wissenschaft durch eine „Kunstwissenschaft“
vollzogen werden, in welcher das Gesetz der Architektur,
wie oben (4) erwähnt, durch eine ständig erneute Kritik
unseres Architekturbegriffes und eine immer erweiterte
Analyse der Architekturprinzipien und Erzeugungen aller
Zeiten, formuliert werden sollen.

So steht freilich die Frage, nach einer
„Architekturlehre“ zum Unterricht für
das baukünstlerische Schaffen, noch offen.
Aber insbesondere die Bestimmung dieser schwierigen
Frage muß durch die Grundlegung der Architektur in
die Wissenschaft verbürgt sein. Wenn es durch richtige
Herleitung möglich ist, eine Architekturwissenschaft zu
erreichen, dann soll und muß diese als Grundlage einer
„Architekturlehre“ gelten. Diese großen Aufgaben er-
fordern aber ihre Befriedigung eng verbunden mit der
Frage der Bestimmung einer zukünftigen Ordnung und
Ausbildung unserer gesellschaftlichen Bedingungen, die
wir in den Wirtschaftswissenschaften finden.

Hinsichtlich dieser sämtlichen Fragen hat dieser
Artikel es sich als seine Aufgabe gestellt, auf den Kern-
punkt des Architekturproblems, und demgemäß auch
auf die ganze stadtbaumäßige Ordnung aufmerksam
zu machen. Soll es der Architektur möglich sein,
die Aufgaben und den Zweck, welche sie in Jahr-
tausenden erfüllt hat, auch in der Zukunft durchzuführen,
dann muß sie mit theoretischem Bewußtsein auf den
Boden der Wissenschaft gestellt werden. Damit aber
fordern wir lediglich eine Fortlassung aller sensua-
listischen Ansprüche und Erwägungen. Nur im
Zusammenhang mit dem Fortgang und
der Ausbildung der menschlichen Kultur
im allgemeinen kann das Architektur-
problem Befriedigung finden, durch die
Einsicht, welche bedingt ist durch die
bei Kant gereifte neue Grundlage der
Erkenntnis.

D. Chodowiecki

Aquarellierte Miniatur eines jungen Mädchens

Auktion bei Karl Ernst Henrici,
Berlin

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