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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 7./​8.1925/​26

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1./2. Oktoberheft
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Riedrich, Otto: Neue Märkische Keramik
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Riess, Margot: Geschmack und Kunsturteil
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https://doi.org/10.11588/diglit.25878#0071
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Die Ausstellung bietet also reichste Anregungen und
abgesehen von einzelnen Mißgriffen kann sie doch als
gut bezeichnet werden. Die böseste Zeit ist überwun-
den, diese Feststellung ist auch von bedeutendem Werte.

Daß weiter auf dem Wege der Besserung fortgeschritten
werden kann, dazu ist die Mitwirkung aller künstlerisch
empfindenden Kreise, insbesondere der Sammler, not-
wendig.

Qeßbmack und Kunffutrto.il

üon

piavgot Rtcß

Wchlagworte sind Verbrechen, gedankenlos ge-
^ braucht, richten sie Wände vor einer verstehen-
wollenden, gutwilligen Menschheit auf. Alle Versuche,
die dazu dienen sollen, dem Wesen des Künstlerischen
nahe zu kommen, werden im Keime erstickt durch das
verhängnisvollste aller falsch angewandten Totschlag-
worte: „Ueber den Geschmack läßt sich nicht streiten.“
Damit wird a 11 e s abgetan. Ehrlichkeit des Wollens,
Reinheit der Form, Kraft der Gestaltung, Rhythmisie-
rung der Linie — aus und vorbei, denn es läßt sich über
den Geschmack nicht streiten!

Tatsächlich wird kaum etwas so geeignet sein,
den „Kunstfreund“ zu verdächtigen, als die in bemer-
kenswertem Umfange immer wieder beliebte Anwen-
dung dieser These auf künstlerisches Gebiet. Liegt
doch darin Zugeständnis letzter Ahnungslosigkeit über
das eigentliche Wesen des Künstlerischen, das sich
doch erst durch sein Zugehörigsein zum Reich der abso-
luten Werte, über die man eben so lange streiten m u ß ,
bis man sich über ihre Existenz einig ist, als solches
dokumentiert.

Es handelt sich ja hier nicht darum, ob sich über
den Geschmack nicht streiten läßt (allerdings läßt sich
über das Lustgefühl, das der Genuß von Buttermilch
erzeugt, nicht streiten, denn bei andern veranlaßt der-
selbe Uebelkeit), sondern um die Frage, ob Kunst denn
überhaupt irgendetwas mit dem geistig „unreellen“
Gebiet des Geschmacks zu tun hat, schließlich also um
die Frage nach dem relativen oder absoluten Wert des
Kunstschönen.

Und entschieden zugegeben, daß die Frage zu jenen
unlösbaren Problemen gehört, von denen Franz Marc
sagt, daß wir „auf Erden nur das Therna geben können“,
so scheint es doch Angelegenheit des künstlerischen
Gewissens, von dem absoluten Wert, der „Idee“ des
Schönen sowohl beim Schaffensprozeß wie beim Auf-
nehmen auszugehen, da man doch sonst unweigerlich
in ein ufer- und kulturloses Reich der Alltäglichkeit
geraten muß.

Vor allem muß ja immer wieder die Barockkunst
dazu herhalten, auf eine Ebene heruntergedrückt zu
werden, auf der Begriffe des Geschmacksurteils Gel-
tung haben. „Diese schwellenden Formen sind nicht
mein Geschmack“, hört man oft und ebenso glaubt man,

der modernen Kunst mit der gleichen platten, der All-
tagswelt angehörigen Begriffen beikommen zu können.
Da ist nur zu sagen, daß jemand, der für die dynamische
Spannung und rauschende Musik einer reifen Barock-
fassade — reinster notwendiger Ausdruck der spezifi-
schen geistigen Haltung einer hochkultivierten Epoche
— kein mitschwingendes Organ besitzt, eben k e i n e n
Geschmack hat, daß sich aber sehr wohl über die künst-
lerische Berechtigung dieser wie der „expressionisti-
schen“ Deformationen im gegebenen Einzelfalle streiten
läßt, die d a am Platze sind, wo es sich um zwingenden
Ausdruck mächtigen Gestaltungswillens handelt und da
Unkunst sind, wo Deformation um der Deformation
willen gegeben ist. Nur in hingegebenem Reagieren,
nicht im Festhalten an einer Geschmacksmeinung kann
man zu gerechtem Urteil gelangen.

So ist auch unser Geöffnetsein für die so vielfältige
Schönheit fremder Kulturen, unsere Stellungnahme zu
Gotik und Exotik ja gerade als Erfolg jahrzehntelan-
gen künstlerischen Streites gegen einseitigen Klassi-
zismus und Akademismus zu verstehen, als Erkenntnis
durch Wegfall bestimmter, noch einen Goethe hemmen-
der Wegschranken, nicht als zufälliger Geschmack.
Und weil wir in Markartschem Pomp einen künstle-
rischen Unwert zu e r k e n n e n glauben, lehnen wir
den Vielgefeierten ab und der allzubequeme Begriff
Geschmack spricht hier kaurn mit.

Der „Sammlergeschmack“ gehört als zu komplexer
Begriff hier nicht eigentlich her, da sich Instinkt der
Mode bezw. der Spekulation hier mit künstlerischer
Orientierung unmerklich und meistens unvermeidlich
mischen. Wo es sich aber immer um „von allem
Zweck genesenes“ Kunstbetrachten handelt (auch der
Künstler betrachtet und trachtet beim Schaffen nach
absoluten Maßstäben), da sind wir unbedingten Gesetzen
unterworfen, an Grenzen gebunden, deren Realität sicli
uns in Momenten des Erkennens urkräftig offenbart,
Ihre Undefinierbarkeit sagt nichts gegen ihre Existenz!

Offenbar tritt hier eine ähnliche Verwischung der
Kategorien zutage wie auf ethischem Gebiet bei dem
Wort „tout comprendre, c’est tout pardonner“, dessen
allzuhäufigen Mißbraucii man trefflich mit der Umkeh-
rung „alles verzeihen heißt nichts verstehen“ gegeißelt
hat. —

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