am Arbeitstische stehenden Schmied, den seine Werk-
zeuge umgeben; ein Lehrling hilft bei der Arbeit. Der
K a u f m a n n sitzt über seine Rechnungen gebeugt, nur
mit Buchungsblättern und Kontobüchern beschäftigt, auf
die sein Blick gerichtet ist. Der E d e 1 m a n n auf der
fünften Karte schreitet träge einher, die eine Hand steckt
lässig im Gürtel, die andere trägt den Falken; ein Page
folgt mit der Meute an der Koppel; der junge Galant
amüsiert sich auf der Jagd, während der städtische
K a v a 1 i e r mit korrekter Handbewegung den Degen
an seiner Seite umspannt hält. Der Doge gehört zu
den weniger hervorragenden Darstehungen der Karten-
reihe: ein pergamentenes altes Gesicht, eine gebückte
Gestalt in wallender Amtsrobe. Der K ö n i g , ein ge-
schmeidiger junger Mann, ist ein richtiger Kartenkönig,
ganz, wie sich die Phantasie des Volkcs einen König vor-
stellte: auf dem Throne sitzend hält cr das Szepter in
der Hand, eine Krone schmückt sein Haupt, die ganze
Haltung ist sinnbildlich für die Würde. Der K a i s e r ,
gebeugt unter der Last der Jahre, trägt einen langen
weißen Bart; auch ihn schmückt cine Krone, in seiner
Hand ruht der Erdball; neben der hageren Gestalt hält
ein Adler Wache. Die höchste der irdischen Rangstufen
nimmt der P a p s t ein : in symbolischer Haltung wie
der König sitzt er auf dem kirchlichen Lehrstuhl, in der
Rechten die Schlüssel Petri, in der Linken, die auf dem
Knie ruht, den Band der hl. Theologie haltend.
Auf die Hierarchie folgen die M u s e n , alle mit
Musikinstrumenten, ausgenommen Klio, die den Schwan
führt. Sie bilden das Ehrengeleite für A p o 11 o , der
auf der zwanzigsten Karte ungefähr ebenso dargestellt
wird wie der König auf der achten Karte: als Herr der
Künste sitzt er auf einem von zwei Schwänen gebildeten
Throne, das Haupt gekrönt, einen Lorbeerzweig um das
Szepter gcwunden, die Füße auf dem gestirnten Globus
zum Zeichen, daß dieser sein Königreich bildet.
Nach den Musen kommen die K ü n s t e : die
G r a m m a t i k als runzlige Alte mit einem kleinen Ge-
fäß und einer Feile in der Hand; die L o g i k , die beim
Anblick eines Drachen von Schrecken erfaßt, stehen
blei'bt; die Rhetorik, die kleine Königin des Rei-
ches der Fabel, trägt ein phantastisches Diadem auf dem
Haupte, in der Hand ein riesiges Schwert. Ihr zur Seite
stehen zwei kleine Herolde; die Geometrie wird
von einer Wolke gen Himmel gehoben, mit dem erhobe-
nen Ann steht sie bercit, ihre Figuren und Kreise in die
Luft zu zeichnen; die A r i t h m e t i k ist dargestellt als
kleinc geizige Frau, die habgierig Geldmünzen aus einer
Hand in die andere gleiten läßt; die Musik sitzt auf
dem Rücken eines Schwanes, von ihren Instrumenten
umgeben; die P o c s i e , einc laubbekränzte Schäferin,
bläst auf einer Flöte ihre zarten Rythmen; die P h i 1 o -
s o p h i e in Gestalt der Göttin Minerva ist mit Lanze
und Schild bewaffnet, auf letztercm sieht man das Haupt
der Gorgo Medusa; die Astrologie ist geflügelt
abgebildet, von Sternen umgeben, mit dem Symbol des
Firmamentes; die T h e o I o g i e , eine Herme mit dop-
peltem Gesicht (weil Himmel und Erde zugleich zuge-
wendet) steht aufrecht hinter dem Kreis des Sternen-
himmels.
Dann folgen drei G e n i e n : 11 i a k u s mit dem
Emblem der Sonne; Chronikus mit dem Drachen;
K o s m i k u s mit dem Erdball.
Hierauf die Haupt- und Kardinaltugenden :
die M ä ß i g k e i t mit den gewöhnlichen Attributen der
Krüge; die Klugheit, eine zweite doppelgesichtige
Herme, die sich eben im Spiegel besieht; die T a p f e r -
k e i t als barbarische Kriegerin, die eine Säule zertrüm-
mert, in ihrer Begleitung ein Löwe; die Gerechtig-
k e i t mit Schwert und Wage, ihr zur Seite ein Storch;
die L i e b e wird nicht durch eine poetische Gruppe von
Frauen und Kindern dargestellt, sondern als eine Gestalt,
die zwischen den geöffneten Falten der Tunika das
brennende Herz zeigt und mit der freien Hand Dukaten
ausstreut, ihr Blick ist auf den Pellikan zu ihren Füßen
gerichtet; man sieht: eine sehr volkstümliche Darstel-
lung, ohne idealistischen Anstrich, gleichsam bare Münze
für das Verständnis des Volkes; die H o f f n u n g in an-
betender Haltung, neben ihr der Vogel Phönix; der
Glaube mit Kreuz und Kelch, von einem Hündlein,
dem Sinnbi'ld der Treue, begleitet.
So sammelt der Künstler alle Symbole und alle Ge-
stalten antiker Ueberlieferung. Die P 1 a n e t e n setzen
die Reihe fort; der M o n d , in göttlicher Gestalt, steht
auf seinem Zweige'Spann und iiberfliegt Berge und Meere;
M e r k u r mit einem ganzen Haufen Attributen, beson-
ders dem traditionclien Heroldstabe, soll vor allem auf
die Finbildungskraft wirken: wilde Drachen bilden sein
Gefolge, die sich wütend ineinander verbeißen:
V e n u s , die Siegerin unter den Göttinnen, wird von
Amör verfolgt; die Sonne ist nach der bekannten
griechischen Frzählung von Phaeton, der vom Sonnen-
wagen sttirzt, abgebildet; ganz klein, wie ein Fröschlein,
das in die Fluten taucht, sieht man Phaeton herabfallen;
M a r s sitzt auf einem thronähniichen Gefährt, sein Hel-
dentum ist etwas karrikiert, er trägt ein ungeheures
Schwert und eine spitzige Rüstung; J u p i t e r schießt
seine Pfeile auf die Giganten; Saturn verschlingt
zwei seiner Kinder, während die anderen vier ganz klein
danebensitzen und ihrerseits das traurige Geschick er-
warten.
Die Kartenserie endet mit der Darstellung des
Himmelsgewölbes und der U r k r ä f t e : die
E r s t e B e w e g u ng steht bereit, vom Bogen, den sie
in Händen hält, die erste Bewegung loszuschnellen; das
Bild erinnert an Raffaels ,,Bacchus mit der Zimbel“ im
Gewölbe der Kapelle Chigi in Santa Maria del Popolo
in Rom. Den Schluß bildet die E r s t e U r s a c h e.
Das Volk fand also beim Spiel mit den Tarockkarten
das ganze Repertoir seiner Kenntnisse dargestellt, eine
Enzyclopädie in Bildern, die alle heroischen Gestalten
umfaßte, von einfacher Volksphantaise geschaffen, um
gelehrte Dinge, klasssiche Allegorien, die sozialen Klas-
sen und das Leben der damaligen Zeit festzuhalten, und
die all dies populär zum Ausdruck brachte.
Als ich in der Ambrosianischen G a 11 e r i e
in Mailand die „Tarockkarten Mantegnas“ wiedersah,
501
zeuge umgeben; ein Lehrling hilft bei der Arbeit. Der
K a u f m a n n sitzt über seine Rechnungen gebeugt, nur
mit Buchungsblättern und Kontobüchern beschäftigt, auf
die sein Blick gerichtet ist. Der E d e 1 m a n n auf der
fünften Karte schreitet träge einher, die eine Hand steckt
lässig im Gürtel, die andere trägt den Falken; ein Page
folgt mit der Meute an der Koppel; der junge Galant
amüsiert sich auf der Jagd, während der städtische
K a v a 1 i e r mit korrekter Handbewegung den Degen
an seiner Seite umspannt hält. Der Doge gehört zu
den weniger hervorragenden Darstehungen der Karten-
reihe: ein pergamentenes altes Gesicht, eine gebückte
Gestalt in wallender Amtsrobe. Der K ö n i g , ein ge-
schmeidiger junger Mann, ist ein richtiger Kartenkönig,
ganz, wie sich die Phantasie des Volkcs einen König vor-
stellte: auf dem Throne sitzend hält cr das Szepter in
der Hand, eine Krone schmückt sein Haupt, die ganze
Haltung ist sinnbildlich für die Würde. Der K a i s e r ,
gebeugt unter der Last der Jahre, trägt einen langen
weißen Bart; auch ihn schmückt cine Krone, in seiner
Hand ruht der Erdball; neben der hageren Gestalt hält
ein Adler Wache. Die höchste der irdischen Rangstufen
nimmt der P a p s t ein : in symbolischer Haltung wie
der König sitzt er auf dem kirchlichen Lehrstuhl, in der
Rechten die Schlüssel Petri, in der Linken, die auf dem
Knie ruht, den Band der hl. Theologie haltend.
Auf die Hierarchie folgen die M u s e n , alle mit
Musikinstrumenten, ausgenommen Klio, die den Schwan
führt. Sie bilden das Ehrengeleite für A p o 11 o , der
auf der zwanzigsten Karte ungefähr ebenso dargestellt
wird wie der König auf der achten Karte: als Herr der
Künste sitzt er auf einem von zwei Schwänen gebildeten
Throne, das Haupt gekrönt, einen Lorbeerzweig um das
Szepter gcwunden, die Füße auf dem gestirnten Globus
zum Zeichen, daß dieser sein Königreich bildet.
Nach den Musen kommen die K ü n s t e : die
G r a m m a t i k als runzlige Alte mit einem kleinen Ge-
fäß und einer Feile in der Hand; die L o g i k , die beim
Anblick eines Drachen von Schrecken erfaßt, stehen
blei'bt; die Rhetorik, die kleine Königin des Rei-
ches der Fabel, trägt ein phantastisches Diadem auf dem
Haupte, in der Hand ein riesiges Schwert. Ihr zur Seite
stehen zwei kleine Herolde; die Geometrie wird
von einer Wolke gen Himmel gehoben, mit dem erhobe-
nen Ann steht sie bercit, ihre Figuren und Kreise in die
Luft zu zeichnen; die A r i t h m e t i k ist dargestellt als
kleinc geizige Frau, die habgierig Geldmünzen aus einer
Hand in die andere gleiten läßt; die Musik sitzt auf
dem Rücken eines Schwanes, von ihren Instrumenten
umgeben; die P o c s i e , einc laubbekränzte Schäferin,
bläst auf einer Flöte ihre zarten Rythmen; die P h i 1 o -
s o p h i e in Gestalt der Göttin Minerva ist mit Lanze
und Schild bewaffnet, auf letztercm sieht man das Haupt
der Gorgo Medusa; die Astrologie ist geflügelt
abgebildet, von Sternen umgeben, mit dem Symbol des
Firmamentes; die T h e o I o g i e , eine Herme mit dop-
peltem Gesicht (weil Himmel und Erde zugleich zuge-
wendet) steht aufrecht hinter dem Kreis des Sternen-
himmels.
Dann folgen drei G e n i e n : 11 i a k u s mit dem
Emblem der Sonne; Chronikus mit dem Drachen;
K o s m i k u s mit dem Erdball.
Hierauf die Haupt- und Kardinaltugenden :
die M ä ß i g k e i t mit den gewöhnlichen Attributen der
Krüge; die Klugheit, eine zweite doppelgesichtige
Herme, die sich eben im Spiegel besieht; die T a p f e r -
k e i t als barbarische Kriegerin, die eine Säule zertrüm-
mert, in ihrer Begleitung ein Löwe; die Gerechtig-
k e i t mit Schwert und Wage, ihr zur Seite ein Storch;
die L i e b e wird nicht durch eine poetische Gruppe von
Frauen und Kindern dargestellt, sondern als eine Gestalt,
die zwischen den geöffneten Falten der Tunika das
brennende Herz zeigt und mit der freien Hand Dukaten
ausstreut, ihr Blick ist auf den Pellikan zu ihren Füßen
gerichtet; man sieht: eine sehr volkstümliche Darstel-
lung, ohne idealistischen Anstrich, gleichsam bare Münze
für das Verständnis des Volkes; die H o f f n u n g in an-
betender Haltung, neben ihr der Vogel Phönix; der
Glaube mit Kreuz und Kelch, von einem Hündlein,
dem Sinnbi'ld der Treue, begleitet.
So sammelt der Künstler alle Symbole und alle Ge-
stalten antiker Ueberlieferung. Die P 1 a n e t e n setzen
die Reihe fort; der M o n d , in göttlicher Gestalt, steht
auf seinem Zweige'Spann und iiberfliegt Berge und Meere;
M e r k u r mit einem ganzen Haufen Attributen, beson-
ders dem traditionclien Heroldstabe, soll vor allem auf
die Finbildungskraft wirken: wilde Drachen bilden sein
Gefolge, die sich wütend ineinander verbeißen:
V e n u s , die Siegerin unter den Göttinnen, wird von
Amör verfolgt; die Sonne ist nach der bekannten
griechischen Frzählung von Phaeton, der vom Sonnen-
wagen sttirzt, abgebildet; ganz klein, wie ein Fröschlein,
das in die Fluten taucht, sieht man Phaeton herabfallen;
M a r s sitzt auf einem thronähniichen Gefährt, sein Hel-
dentum ist etwas karrikiert, er trägt ein ungeheures
Schwert und eine spitzige Rüstung; J u p i t e r schießt
seine Pfeile auf die Giganten; Saturn verschlingt
zwei seiner Kinder, während die anderen vier ganz klein
danebensitzen und ihrerseits das traurige Geschick er-
warten.
Die Kartenserie endet mit der Darstellung des
Himmelsgewölbes und der U r k r ä f t e : die
E r s t e B e w e g u ng steht bereit, vom Bogen, den sie
in Händen hält, die erste Bewegung loszuschnellen; das
Bild erinnert an Raffaels ,,Bacchus mit der Zimbel“ im
Gewölbe der Kapelle Chigi in Santa Maria del Popolo
in Rom. Den Schluß bildet die E r s t e U r s a c h e.
Das Volk fand also beim Spiel mit den Tarockkarten
das ganze Repertoir seiner Kenntnisse dargestellt, eine
Enzyclopädie in Bildern, die alle heroischen Gestalten
umfaßte, von einfacher Volksphantaise geschaffen, um
gelehrte Dinge, klasssiche Allegorien, die sozialen Klas-
sen und das Leben der damaligen Zeit festzuhalten, und
die all dies populär zum Ausdruck brachte.
Als ich in der Ambrosianischen G a 11 e r i e
in Mailand die „Tarockkarten Mantegnas“ wiedersah,
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