Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 12./​13.1930/​31

DOI Heft:
Maiheft
DOI Artikel:
Biach, Rudolf: Die Magie der Plastik: Vortrag in der Berliner Secession
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26236#0280
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
leercn Raum. Und vvenn Sie das Ganze mit Ilirem
Blick umfangen, dann werden Sie fiihlen, wie die
f'ig'ur in einem besonderen Ramne steht. Es gibt ver-
schiedene Arten von Sockeln. (Ein Miirman.) Ilier
sehen Sie, wie das Geometrische allmäldicli ins Eigu-
rale übergeht. Die Kauernde von K o 1 b e , die iiber-
haupt keinen Sockcl Iiat. Aber die Beine stoßcn ab-
wärts, und sit' sioßen mil soJcber Wuclit, als ob sie sicli
einem AulwärtsstoB euigcg'cnstemmen. Dort, wo das
rein Geometrisclie des Sockels anfhöri, dort hört aucJi
der wirkJiclie Raum auf. l)ort, wo das GeometriscJie
ins Figurale übergeht, begiunt die SpJiäre des Scheins.
Wenn Sie den Sockcl ricliiig erfassen, dann werden
Sic aucli (iilden, wie der Sockel die irdisclie Welt zu-
riickdräng’t, um Blatz zu schaffen fiir ein iiberirdisches
Cieschehen. Der Sockel gleicht dem Altar, auf dem der
Priester das Opfer darbringt, durch das flie Gläubigen
init der Gottheit verbunden werden. Wenn Sie im
Laufe dieses Eriihjahrs die Ausstellung der primiiiven
Plastik sehen, werden Sie eine Menge Masken finden.
Diese Masken haben Jseincn Sockel, sie sind dazu be-
stimmt, iiber den Kopf gesüilpt zu werden. Diese
Masken iiben einc doppelte Wirkung auf den Be-
schauer aus, und zwar eine negative und eine positive.
Nämlich der untere Teil der Maske umhüllt den Trä-
ger wie ein Mantel, indem er sich an den Körper an-
schmiegt. Er löst den Träger aus der irdischen Welt
heraiis und läßt ihn als Gefäß einer überirdischen
Macht erschcinen. Die positive Wirkung liegt darin,
daß die Merkmale jener Eigenschaftcn, durch die die
magische Wirkung erzielt werdeu soll, sicli in der
Maske besonders ausprägen. Die positiven Wirkungen
dieser Masken sind gewisse magische Wirkungen, die
nicht iininer unbedenklich sind. Schwieriger erscheint
das Problem, worin eine positive Wirkung des jilasi i-
schcn Kunstwerkes in diesem Sinne bestehf, denn dic
Erklärung, daß dic bildende Kunst eine ideale Gegen-
wart vorzutäuschen habe, befriedigt das moderne Gc-
fiihl längst nicht melir. Aber die alten Erzählungen,
in denen von Plastiken die Redc ist, liefern wertvolle
Hinweise iiber die esoterische Bedeutung der Kunst.
So erzählt Wellhausen eine uralte Legendc von einem
arabischen Stamme, in dcm schnell hintereinander
fünf Eiihrer gcstorbcn scien. Dariiber herrschte Trauer
iin Stamme, und da kam ein Mann von dem Ban Q’abil
und sagte zu den Leuten: Soll ich euch Bilder nach
den Gestalten der Vcistoibenen machen? Und er
machte ihnen fiinf Bilder und sfclltc sie ihnen in dic
l läuser. So gingen sic zu Vater, Bruder oder Ereund
und erweiscn ilmen Elire. Aus dieser Legendc läßt sich
somit erkennen, daß man in Bildern dic Vchikel sah,
durch die mau sich mit der Seele des Verstorbenen
verbindet. Diese Aoisiellung erklärt sich aus dem
Prinzip der Magie. Dic Holzschnitzereien waren der
Gestalt der Verstorbenen ähnlich. Fiir dic magische
Vorstellung waren die Schnitzereien durch dasselbe
Prinzip entstanden wie die Körper der Verstorbenen.
Und wie die Körper der Verstorbenen einc Seele hat-
ten, so hatten dicse Statuen cine Seele. Die primitiven
Völker haben die Vorstellung, daß das, was an uns

bewegf wird, der Körper sei, vvährend das, was sich
bewegt, die Seele sei. Um ein Stiick Material beseelt
erscheinen zu lassen, kommt es darauf an, die IJlusion
zu erwecken, daß die Maieric sich bewegi. Einige Bei-
spiele:

Das Selbsfporfrät von Gauguin: Sie schen, wie aus
der Eläche des Tons der Kopf herausgeprägt wird.
Sie miissen nun darauf achten, daß der typische Zu~
saminenhang zwischcn dcm Gesichisbild und den Be-
wegungsempfindungen Iiergestellt wird. Eixieren Sie
bitte diese Figur. Stcllen Sie das Auge auf die Eigur
ein, bewegen Sie den Augapfel nicht. denn mit jeder
Bewegung erzeugen Sie nichtbeabsichtigte Bewegungs-
empfindungen. Aber wenn Sic so die Figur fixieren, so
werden Sie allmählich zu der Vorstellung konunen,
daß sie bloß ein irgendwie geformtes Material ist.
Uncl nun behalten Sic das Gesamtbild im Gedächtnis.
Tasten Sie die formenden Ilänclc des Kiinstlers nach
und ziehen Sie die Linien. in die cr das Material ge-
stoßen hat. Dann werden Sie darauf kommen, daß
alle Bewegungen von der OberfJäche ausgehen und
wieder in die Oberfläche zurückgehen. Denn eine
Wölbung der Oberfläche ist clie Spannung eines Mus-
kels, und eine Wölbung der Oberfläche ist aucli die
Stellung des Organs, die der Muskel bestinnnt. Die
Oberfläche ist Anfang und Ende. Was aber in sich
seinen Anfang uncl Ende hat, das fließt nicht in den
Strom des irdischen Geschehens, sonclern ist ein selb-
ständiges Ereignis. Anfang und Ende fiihlen, heißt
Zeit fiihlen. Aber ein Ereignis fühlen, dies Anfang und
Ende in sich, bedeutet eiue Eigenzeit fühlen. Dies
aber ist die Besonderhcit des künstlerischen Erlebens,
der Plastik, denn diese hat nicht nur einen Eigenraum,
clie Plastik hat auch eine Eigenzeit. Zeit bedeufet
Werden, Zeit fühlen heißt Werden fühlen. Wenn Sie
aber fühlen, daß. in einer Plastik ein eigenes Werclen
ist, clann werden Sie aucli fühlen, daß die Plastik
einen Körper und Seele hat wie Sie, und Sie werden
fiihlen, daß Seele uncl Formen cler Künstlerwillen
Licht sind, Körper aber und künstlerisches Material
die Spiegel, in clenen sich Licht reflektiert.

Mcphisto teilt den magischen Akt in zwei Teile. „Im
ersten sind wir Herren, im zweiten sind wir Knechte.“
Mephisto hat recht von seinem Standpunkt aus. Von
uns aus gesehen aber feilt sich dcr magische Akt in
clrei Pliasen. Zuerst wird die irdische Welt auseinander-
geschoben, clann wircl der Kontakt mit dem Über-
irclischen hergestellt. So weit kommt aucli cler Zauber-
lehrling, cler erst bei der clritten Phase versagt. Diese
besteht nämlich darin, daß clie herabgezogene kos-
mische Gewalt nach einem bestimmten Ziel geleitet
wird. Durch den Sockel hat der Künstler den Be-
schauer aus der irclischen Welt gehoben. Im Gegen-
spicl von Material und formendem Kiinstlerwillen hat
er sein Werk beseelt. Die clritte Phase fiihrt bis an clic
Grenze cler wirklichen Welt zurück.

Alle Sinnesempfindungen sind nur Reaktionen von
Sinnesorganen. Reaktionen von Sinnesorganen sind
fiir den Kiinstler clie Teile, die er zum Ganzen fügt.
Der Plastiker faßt einerseits clie Gesichtsempfindungen

20S
 
Annotationen