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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 13,1.1899-1900

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1899)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7959#0253
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Ruprecht auf der Stratze getroffen, sich lüngere Zeit mit ihm über üie dies-
fährige Tannen- und Puppenernle unterhalten habe, daß gestern Abend sein
rauhhaariger Kopf hinter den Eisblumen des Fensters aufgetaucht fei . . .
Jm November etwa werden die rationalistischen Ueberzeugungen fchwankend;
die Nachrichten vom Weihnachtsmann werden mit einem merkwürdigen Schweigen
aufgenommen. Wenn man ganz heimlich um den Lampenschirm herumschaut,
dann sieht man große, stille Augen mit nachdenklichem Blick in die Ferne ge-
richtet. Jn einem Augenblick der Stille hört man ein tiefes Atmen. Jm
Dezember erfolgt dann die Kapitulation. Man nimmt den Glauben an den
allein selig machenden Weihnachtsmann an und entsagt dem heidnischen Glauben
an das Portemonnaie. Wer jetzt noch Zweifel äußert, wird von den anderen
schon entrüstet zurechtgewiesen. lloM eomme elle? nous. Wenn dann der heilige
Abend da ist und man hinter der Thür mit gräßlich verstellter Stimme fragt:
„Seid Jhr denn auch artig gewesen?" — dann kann es allerdings geschehen, daß
gerade das Jüngste mit pietätloser Unschuld antwortet: „Ja, Papal" Den
anderen sagt ein sicherer Jnstinkt, daß zu viel Gehör in diesem Augenblick
inopportun wäre, daß ein stillschweigendes ZLcrill^io äell' ivteltetto genau so
aussieht wie Frömmigkeit u. s. w. Nachher freilich, wenn sie ihre Geschenke
weg haben und der dunkle Tannenbaum seine goldenen Augen aufgeschlagen
hat, dann schreien sie: „Aetsch, ich hab' wohl gehört, daß du es warst, Papa,
du haft so ganz tief gesprochen: Wuwuwuwu. . Dann sind sie frech, dann
ist die ganze Bande wieder ungläubig.

Die Kleinen erinnern einen halt so oft an die Großen.

Wozu sollte man ihnen auch durchaus den Weihnachtsmann ausnötigen;
es gibt sa so viel andere schönc Götter!

Bis ins heiralsfähige Alter hinein erhält man ihnen den Glauben an
den Weihnachtsmann doch nichtl Dann haben sie längst eine Menge anderer
Glauben gehabt. Und später, wenn sie lüngst eingesehen haben, daß nur Liebe
der Eltern es war, was ihnen einst die strahlenden Stunden der Weihnacht
bescherte, dann werden sie finden, daß Liebe in dieser greuelvollen Welt viel
wunderbarer, seltsamer und heiliger ist als ein Weihnachtsmann. O, wohl
vermag er zu wachsen mit zunehmendem Alter, der Glaube an die Wunder-
kräfte der Welt! Die Wunder, welche der naive Sinn schaut, sind ja nur
Nürnberger Tand gegen die Wunder, welche die weltbewanderte Seele ahnt!

Wie gesagt, man entfesselt ein Weihnachtsgespräch unter den Kleinen.
Das ist nicht schwer. „Was wünschst du dir?" srag' ich die Kleinste.

„Jch wünsch' mir 'ne Puppe, die schlasen un schreien un trinken kann —
aber richtig trinken! — un denn 'ne kleine Babyslasche mir 'm klein' niedlichen
Lutscher auf, un' ne ganz, ganz kleine süße Klingelbüchse. Jst das unge-
schämt

„Nein, das ist nicht unverschämt. Was schenkst du mir denn?"

„Ja, was wünschst du bir?"

„Ja wie viel Geld hast du denn in deinem Spartopf?"

„Mama, wie viel hab' ich?

„Fünfundachtzig Pfennige."

„Fünf'nachßig Fennige."

„Na, dann wünsch ich mir ein großes, schönes Haus mit einem großen,
schönen Garten."

„Mm. Und was noch mehr?

„Und dann einen schönen Wagen mit zwei wunderschönen Pferden davor!"

2. Dezemberhest ^899
 
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