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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

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Heft 19 (1. Juliheft 1901)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0315
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uberschauenden Höhe erhebt. So in
der „Morphiumspritze": das sittlich
verkommene Weib empfindet die klaro
Härte, die reine Strenge des Mannes
mit weher Freude als Peitsche, die
ihre zitternde Schlasfheit zu energischem
Todeswillen antreibt. Das tiefste
Stück der Sammlung aber ist mir die
Geschichteder „buckligen Bertha",die bei
allem Menschenhaß eine svlche Kinder-
liebe hegt, daß sie sich von einem Un-
geliebten zur Mutter machen läßt, um
ein eigenes Kind zu haben. Nur läßt
Schlaf seine Bertha ihre Absicht allzu
programmatisch bewußt, zu wenig um-
schleiert von Selbsttäuschungen durch-
sühren, so daß die Naturwahrheit doch
drunter leidet. L. weber.

* Die Jagd nach dem Unge-
druckten.

Ein Bekannter von mir sandte
nculich einer größeren Mqnatsschrift
cinen ziemlich umfangreichen Aufsatz
biographisch-kritischer Art. Er erhielt
ihn mit der Bemerkung zurück, dem
genannten Artikel könnte so viel Raum
nur zugebilligt werden, wenn er „per-
sünliche Erinnerungen" enthielte. Was
die Zeitschrift darunter verstand, er-
sah ich aus einigen ihrer Bciträge, in
denen mehrere Herren mit Umständ-
lichkeit zu zeigen versuchten, daß ein
großer Mann schwach genug war, sich
mit ihnen abzugeben. Auch viele der
übcr Nietzsche veröffentlichten Memoi-
renbücher gehüren in diese Gruppe.
Die „Bedeutung" solcher Geisteserzeug-
nisse beruht eben auf ihrer Unge-
drucktheit. Der Herr Herausgeber
denkt, gute Aufsätze über einen Großen
wärcn wohl schon einmal irgendwo
gedruckt, was aber Herr X. der Welt
zu verkünden habe,sei „unediert'". Es
gibt Blättcr, die sich entrüsten, wenn
man ihnen ein übersetztes Stück an-
bietet, auch wenn sich erweisen läßt,
daß die Leserkreise des Originals und
der Uebersetzung einander ganz fremd
sind. Mit andern Worten: nicht der

Wert einer, wenn auch noch so vor-
züglichen, aber auf teilweise bekannten
Dokumenten fußenden Darstellung ist
entscheidend; neue, von keinem Men-
schen aufderweitenWelt gekannte That-
sachcn gelten allein, auch wenn sie, und
vielleicht sogar gerade, wenn sie recht
albern sind. Ueber die Jagd nach dem
„letztenHosenknopf* berühmter Männer
ist schon genug gespottet rvorden;
heute wiederholt sie sich, der auf ,das
Persönliche" gehenden Zeitneigung ent-
sprechend, in veränderten Formen.
Der Druckerschwärze wohnt immer
noch eine magische Kraft inne. Das
Manuskript, dem sie schon einmal in
einem der fünf Weltteile zu gute ge-
kommen ist, hat von seinem Wert fast
alles eingebüßt, mag es auch Weltbe-
wegendes enthalten. Du aber, mein
jungfräulicher Papierfetzen, der du
noch keinen Redaktionstisch ziertest,
kommst an den Setzer. Eine Bedingung
nur ist unerläßlich: du mußt mit
einem gleichviel weshalb berühmten
Manne in eine gleichviel wie weit
entfernte Beziehung gebracht werden
können. Ld. j)l.

Okester.

*Hamburger Theater.

Jm zweiten Oktoberhefte sagte ich
an dieser Stelle zum Schluß einer
Betrachtung über das neue Theater
des Freiherrn von Berger: „Lite-
rarisch und über die Grenzen Ham-
burgs hinaus kann das Deutsche Schau-
spielhaus zunächst. . . wenig bedeuten.
Aber für die örtlichen Theaterverhält-
nisse in Harnburg-Altona ist es schon
jetzt von segensreichem Einfluß.*

An diesem Urteil ist jetzt, nach
Schluß des ersten Spieljahres der neuen
Bühne, nichts zu ändern, außer daß
man die Worte „für Hamburg segens-
reich* unterstreichen muß. Es ist wirk-
lich ein frischer Luftzug in die stickige
Schwüle der hiesigen Theaterzustände
gefahren, und auch literarisch hat man
Iulihest ,901

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