Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

DOI issue:
Heft 19 (1. Juliheft 1901)
DOI article:
Rundschau
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0319
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
lätzt und in ihrer Lebensaufsassung
untergeht, es ist seltsam, sage ich,
welche Fülle von psychologischem
Reichtum einem dann gerade bei den
ältesten Meistern entgegen tritt. Jn
Köln hatte man das Glück, in der
Weise genießen zu dürfen, weil die
Art, wie Professor Franz Wüllner
die Werke aufführte, wirklich den Kom-
ponisten zu Worte kommen ließ. Man
sah an diesem Nestor der deutschen
Dirigenten wieder einmal deutlich,
wie segensreich für einen Musiker eine
umsassende künstlerische und allge-
meine Bildung ist. Die außerordent-
liche Sachlichkeit und Echtheit seiner
Auffassung machen ihn zu einem un-
serer unwersellsten Musiker und er-
lauben ihm, die verschiedensten Stile
mit gleicher Sicherheit wiederzugeben.
An seinen Beethoven werden die Kölner
und Alle, die ihn sonst hören konnten,
wohl noch lange denken.

Schade, daß man nicht auch die
Leistungen seines a cappellrl-Chors ge-
nießen durfte. Wenn man wirklich
große Chorleistungcn hören will, muß
man ja überhaupt an den Rhein
gehen; das lebhafte Jnteresse, das
dort zum Glück nicht bloß für Männer-
chöre hcrrscht, ist überdies schon der
beste Beweis für die Echtheit der musi-
kalischen Kultur.

An den Programmen interessierte,
daß abgesehen von Händel, der aus
äußeren Gründen weggelassen war,
keiner unserer großen Musikcr fehlte,
bis auf Mendelssohn. Ein Zeichcn
der Zeit. Auch Schumann war nur
mit einem Bruchstück von „Paradies
und Peri" zugelassen, und selbst dies
bewies, daß wir der Zeit nahe sind,
wo ein gutcr Tcil der Schumannschen
Musik trotz vieler einzelner Schön-
heiten in die hintcren Reihen rücken
muß. Dieser Kunst fehlt zu ost innere
Notwendigkeit und Geschlossenheit. Sie
war wohl nur für ein paar Jahr-
zehnte lebensfähig. Das ist schmerz-
lich, wenn man bcdenkt, wie Schu-

mann anfing. Aber aufzuhalten ist
diese Erkenntnis nicht.

Novitäten gab's, wie gesagt, nicht.
Liszts Tasso und Strauhens Don
Juan gehören ja bereits zum Glück
unter die Werke, über deren kunstge-
schichtlichen Wert zu streiten nur noch
den trockensten Reaktionären notwen-
dig erscheint. Daß man den dritten
Akt der Walküre bis auf die Ensemble-
Szenen der Walküren aufführte und
damit das letzte Konzert um drei
Viertelstunden verlängerte, wäre nicht
nötig gewesen; doch vergaß man über
der Musik bald die Lächerlichkeit des
besrackten Wotan, der mit dem Kla-
vierauszug in der Hand sich Brünn-
hildens Gesang anhörte. War's doch
die einzige Konzession an das Publi-
kum, das sich drei Tage lang mit
Kunstwerken größter Form abfinden
mußte und auch nicht ein einziges
Liedchen zu hören bekam. Für das
Stilgefühl, das stch in dieser Pro-
grammaufstellung aussprach, verdient
die Leitung dieses Festes ein ganz be-
sonderes Lob.

Nach Heidelberg fuhren die
Musiker ja mit ganz anderen Vor-
aussetzungen. Hier handelte sich's um
einen Musikertag, um die Zusammen-
kunft von Fachleuten, die lernen und
kritisieren wollten.

Unter den Novitäten interessiertcn
am meisten die von Strauß, Wolsrum
und Liszt. Ucber Wolfrums Weih-
nachts-Mysterium habe ich mich
früher bereits ausführlich im Kunst-
wart geäußert; die Aufführung hat
mir bestätigt, daß die Komposition
trotz mancher Bedenken, die im ein-
zelnen geltend gemacht werden können,
eines der besten Tonwerke neuerer
Zeit bleibt. Neben den Vorzügen rein
technischer Natur, dem kunstvollen
Satz, der farbenreichen, aber natür-
lichen Jnstrumentation, der geschmack-
vollen, trotz aller Mannigfaltigkeit
nicht überladenen Harmonisation hat
das Werk vor allen Dingen das Ver-
t. Iulihest
 
Annotationen