Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 14,2.1901

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1901)
DOI Artikel:
Marsop, Paul: Von den Erbfeinden der Bayreuther Kunst: Rückwärts oder Vorwärts?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7962#0364
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Vor Jahresfrist, nach der Tonkünstlerversammlung zu Bremen„
rührte ich zuerst an diese und verwandte heikle Fragen. Heuer, nach
dem Heidelberger Musiksest, hatte ich's energischer anzupacken — just weil
an Veranstaltungen des „Allgemeinen deutschen Musikvereins"' anzu-
knüpsen war, den Franz Liszt, sein Begründer, zum Pfleger des echten
Fortschritts in seinem und Wagners Sinne bcstellt hatte. Einer mußte
schließlich mit der Sprache herausgehen. Wie vorauszusehen, brach ein
ohrenzerreißender, modern aber schlecht instrumentierter Spektakel los.
Verwöhnte Modedirigenten, die vor dem Publikum der „Abonnements-
konzerte" ihr Pfauenrad schlagen, murrten, grollten und logen: „Man
will uns unseren Beethovcn rauben!" Als ob sie noch berechtigt wären,
sich als Beethovengläubige und Bülowschüler aufzuspielen, wenn sie die
dritte Leonoren-Ouverture zum Parade- und Virtuosenstücklein herab-
würdigenl Biedere Kunstfreunde, welche wie jetzt üblich mit vorge-
bundener Fortschrittsmaske zum Podium hinaufstarren, um sich im
Jnneren desto behaglicher ihren Philisterträumcn und Philistergelüsten
hinzugeben, schrieen entrüstet: „Man will uns um unseren Berlioz
bringen!" Als ob uns Deutsche die Fieberphantasicen des großen, geist-
reichen und seelisch hcimatlosen Jnstrumentalisten heute noch sonderlich
viel angingen! Die Zeitungsabonnenten wackelten mit sämtlichen Köpfen
und Zöpfen. Schon wieder ein Kritiker, der uns zumutet, unseren
Denkapparat umzustellen! Als ob's nicht daran genug wäre, daß die
bösen Unruhestifter, die Künstler, alle von unseren Schulmeistern so
mühsam errichteten Bretterzäune umwerfen! Die allmächtigen Konzert-
agenten endlich fürchteten für ihre „heiligsten Güter", ihre Gcldschränke.
Gegen den lästigen Fragesteller anzugehen, erhielten somit alle Männer
der Feder dic gemessene Weisung, welche liebedienerisch die Geschäfte
der Konzertagenten besorgen oder auch mit verbissenem Jngrimm ihr
Lied singen, weil sie gezwungen sind, ihr Brot zu essen. Bei diesen
Angrifsen murde folgendes Schema benutzt. Die Klassiker der Jnstrumental-
musik sind Eigentum des Volkes, der Konzertagcnt aber ist der Fürsprcch
und geistige Nährvater des Volkes. Wer folglich die Pläne des Konzert-
agenten durchkreuzt, der ist ein „Volksfeind". Kurz: es wurde so viel
falsches Pathos verbraucht, wie immer, wenn auf irgend einem Felde ein
Jnteressenring als solcher vor der Oeffentlichkeit gekennzeichnet wird. „Viel
Feind, viel Ehr'", ließ sich in diesem Falle gerade nicht sagen. Zu
meiner nicht geringen Verwunderung wurden meine Ausführungen
andererseits vielfach mit lebhafter Zustimmung begrüßt. Wer seine
Gründe dafür hatte, im Ratssaale nicht vor aller Augen auf meine
Seite zu treten, der schlich mir wenigstens bis auf die Treppe nach und
drückte mir verstohlen, aber kameradschaftlich die Hand. Nur Eines be-
fremdete mich: die mich durch herzlichen Zuruf crmunternden Freunde,
die zeternden Gegner und die hilflosen und bctrübten Lohgerber um-
gingen fast sämtlich den Kernpunkt meincr Darlegungen mit unver-
kennbarer Behutsamkeit. Man stritt darüber hin und her, ob das neu-
zeitliche ins Unbegrenzte fortwuchernde Konzertwesen der ästhetischen
Gesamtausbildung des Einzelnen förderlich oder abträglich, ob Musik-
feste vom Segen oder vom Uebel seien. Daß ich aber dem „Konzertsaal"
die „Szen e" gegenübergestellt, daß ich die unüberbrückbare Kluft zwischen
der münnlichen Bühnenkunst Wagners und dem modernen, hysterischen,
Runstwart

ZZ4 —
 
Annotationen