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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1902)
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Weber, Leopold: Neues von Wilhelm von Polenz
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0026
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Arbeit gänzlich verfehlt. Es wird sich schon im allgemeinen sehr
selten treffen, daß ein Mann, dessen Vorzüge auf dem Gebiete beschrei-
benden Erzählens hervortreten, zugleich zum Dramatiker berusen ist, es
müßte sich im besonderen Polenz sonst wohl auch im Roman zu einem
mehr unmittelbaren Darstellen gedrängt zeigen. Bei dem vorliegenden
Stück aber kommen wir gar nicht erst in die Lage, zu prüsen, ob solch
ein Ausnahmesall vorliegt, ja selbst die Unwahrscheinlichkeiten in der
Komposition und die Theatralik mancher Stellen müssen sür uns gering-
sügig bleiben gegenüber der einen so viel verratenden Tatsache, daß das
Drama vom Ansang bis zum Ende sast ausnahmslos die Leute eine
Sprache reden läßt, die nur aus Papier anzutreffen ist. Bauern, die
im Konjunktiv anfragen: „Und was soll ich ihnen sagen, so sie mich
fragen, um was es sich handle?" Bauern, die im Kanzleistil antworten:
„Gib solchen zur Antwort: der Findeisen-Bauer, der reichste Bauer zu
Altenroda, läßt euch laden ins Gemeindehaus, anzurügen den neuesten
Frevel der Gerichtsherrschast, so gestrigen Tages sich zugetragen aus
Christian Noacks Kornsaat u. s. w." Bauern, deren Empfinden in
Periodenbauten aufgestapelt wird wie „Von lieblichen Zusagen fließen
eure Lippen über, aber ihr denkt nicht daran, zu halten, was euer
Mund verspricht!" — ja wo gibt, wo gaü es je solche Bauern?
Oder, lassen sich solche Bauern auch nur vorstellen, kann man etwa
in der Ausgeblasenheit solcher verschlungenen Redensarten rhyth-
misch übertragenes Pathos tatsächlicher Erregung sinden wollen?
Es läßt sich nicht gut anders erklären: Polenz ist derselbe Un-
sall zugestoßen, wie so vielen vor ihm und neben ihm; er hat die
gewundene Amtssprache vergangener Jahrhunderte für den Ausdruck
realen Lebens gehalten, was sie natürlich ebensowenig war, wie etwa
unser Juristendeutsch die Umgangssprache der Herren Rechtsbeslissenen
ist. Mit diesem verhängnisvollen Versehen hat er meines Erachtens
seinem Stück von vorn herein den Strick gedreht, denn wie sollen wir
aus dem ewigen papiernen Rauschen heraus Jndividualität, Charakter,
Leidenschaft, Leben hörend Es ist wirklich alles Erreichbare, daß wir
trotz all dem wenigstens noch das „Wollen" des Dichters einigermaßen
deutlich vernehmen.

Die Sammlung „Luginsland" endlich (Berlin, F. Fontane) enthält
sechs ganz gut beobachtete und wiedergegebene Skizzen aus dem ländlichen
Leben, ohne daß Polenzens Kunst grade besondere Höhepunkte erklömme.
Daraus, daß dies in den letzten Jahren überhaupt seltener der Fall
war, wollen manche schon aus ein dauerndes Niedergehen seines Talentes
schließen. Meines Erachtens wäre das denn doch voreilig. Jch wenigstens
kann nicht glauben, daß eine geistige und künstlerische Tüchtigkeit, wie
sie Polenz gezeigt hat, so schwach fundamentiert sei. Aber die Frage,
ob sich Polenz auch Zeit genug zum gründlichen Durcharbeiten bei
seinem Schaffen läßt, hat sich auch mir angesichts mancher wenig
glücklichen Sachen und der unheimlich schnell wachsenden Zahl seiner
Werke ausgedrängt. Leoxoldweber.

Aunstwart
 
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