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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

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Heft 8 (2. Januarheft 1903)
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Bonus, Arthur: Begeisterungsreden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0585
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als der Kreuzberg in Berlin und wir hatten kaum je mehr als fünf Steine
zusammen fallen hären; aber wir warfen die Gebirgsmaffen der Alpen
umeinander und gaben die großen Flüsfe zu. Und das um einen An-
laß fo billig, daß ihn keiner von uns im Gedächtnis behalten hat.
Weshalb auch nicht! Wir brauchten nicht einmal unsere Phantasie
weiter anzustrengen, als bis zu einem kalten, bei manchem auch künst-
lich angeheizten Kalkül darüber, ob das Ding einigermaßen „paffe";
denn die Phrafe selbst hatten wir aus dem Cicero. Dieses wurden wir
jahrelang gequält, Zu tun.

Es war auch nur ein Ausfluß des ganzen Syftems, das darin
beftand, unmündigen Kindern die ausgebildete Kulturfprache eines toten
Volkes aufzuzwingen, feine Jdeale, Allgemeinbegriffe, Anfchauungsformen,
Gefühlsfpmbole. Das ganze Leben hat stch inzwischen geündert. Alle
Verhältnisse, auch geistige sind andere. Tut nichts: die toten Normen
sind die ewigen; fo sind wir in die durchweg und ausnahmelos fchiefen
Beziehungen zur Wirklichkeit und ihrem Sinn gekommen, in denen wir
stehen. Wenn wir nun an keiner Stelle gelernt haben, unfer Ver-
hältnis zur Wirklichkeit klar aufzufaffen und genau auszudrücken, so ist
freilich verständlich, wie wir allmälich jedes Derantwortungsgefühl für
diefe Seite unserer Handlungsweife verloren haben.

Es ist für unfere Sache gleichgültig, ob das künstlerische Denken
Platos urfprünglich fo dürftig und ledern war, wie es in der Schule
herauskommt; natürlich wird vor heutigen Kindern ganz von felbst
etwas anderes vorgetragen, als vor mehr als zweitaufend Jahren ge-
dacht wurde, wenn auch kein Wort veründert wird. Die geistige At-
mosphäre unserer gewöhnlichen humaniftischen Erziehung ift jedenfalls
die, daß der Sinn der Wirklichkeit und ihr tiefstes Verftändnis durch
Bildung der allgemeinsten Begriffe erreicht wird — das Höchfte und
Letzte durch das Unpersönlichfte, Leerste. Dazu ift uns Plato der Lehr-
meister geworden! Nun ift die Wirklichkeit in ihrem inneren Getriebe
mindeftens ebenfo vielfältig, wie in ihrer finnlichen Erfcheinung, und
nicht nur unsere Sinne, sondern auch unsere geisiigen Auffaffungsweisen
müffen deshalb vielfältig fein und find es auch. Nur im „Jdealen"
im Allgemeinen fließt alles zusammen. Die allgemeinsten Begriffe ge-
nügen für alles; fie sind zugleich die stchersten Vorausfetzungen, die
zwingendsten Gesetze, die tiefsten Gefühle, die letzten Wirklichkeiten, die
sublimsten Schönheiten. Und wer nun begeistert ist in diefer unferer
Kulturlage, der rührt sich daraus einen Brei.

Es läßt fich über die Tätigkeit eines wirklichen Künftlers kaum
etwas Verächtlicheres fagen als, daß sie in der Befolgung allgemeiner
Normen bestehe. Allenfalls eine im Prinzip konoentionelle, also durch
und durch unselbständige Kunft ließe sich zwar außerordentlich fcharf,
aber doch nicht ohne Recht fo beschreiben. Für die Begeisterungsrhetorik
ist es vielmehr das höchfte Lob. Für fie sind die allgemeinsten Begriffe
ohne weiteres ewige Gesetze, nach denen das Leben fich richtet. An fich
sind die allgemeinften Begriffe letzte Abftraktionen, also das äußerfte
Gegenteil von Gesetzen; und „ewig" ist ein Wort aus der religiösen
Welt, fehr tiefe Gefühle, fehr kühne Hoffnungen ausdrückend. Für
die Begeisterungsrhetorik geht das alles durcheinander. Die allgemeinsten
Begriffe auf dem Gebiete der Kunst laffen sich noch allgemeiner unter

2. Iannarbeft zpos
 
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