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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI issue:
Heft 8 (2. Januarheft 1903)
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Bonus, Arthur: Begeisterungsreden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0586

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dem Titel „Aesthetik" zusammenfasseu. Diese Aesthetik wird Herrscherin
mit höchsten göttlichen Ehren; die Begrisfe, deren Gesamtheit durch sie
bezeichnet wird, sind die von ihr gegebenen Gesetze; und zwar ewige;
und so verkündigt der Begeisteruugsredner „die ewigen Gesetze der
Aesthetik".

Bei den Naturforschern ist es fast genau so. Nicht wenn sie
arbeiten. Dann kennen sie nur Erscheinungen, deren gewöhnliche oder
durchschnittliche Arten sich zu wandeln sie untersuchen. Aber wenn sie
begeistert sind, predigen sie die ewigen Gesetze der Mutter Natur.

Man sieht, die Allgemeinbegriffe haüen alle höchsten Ehren. Sie
sind göttlich und ewig und genießen religiöse Andacht. Sie sind zu-
gleich sämtlich sittliche Normen, „Gesetze",und wiederum wissenschaftlich das
Bewiesenste, was es gibt; ästhetisch aber sind sie der schönste wertvollste
Schmuck, den man denken kann, und deshalb ein Hauptbestandteil unserer
Begeisterungsrhetorik.

Man kann sagen: die ist ihre eigentliche Heimat geworden. Dort
kommen sie zu einer Art künstlichem Leben, das in der Wirklichkeit nichts
als ein übles Gefühl zurückläßt.

„Das geht so fröhlich ins Allgemeine, ist leicht und selig, als
wär's auch reine. Sie wissen gar nichts von stillen Riffen; und wie
sie schiffen, die lieben Heitern, sie werden wie gar nichts zusammen
scheitern."

Denn mit Wirklichkeit hat dieses ganze Gebüude, das wir irreführend
genug Jdealismus nennen, nichts zu tun, außer daß es überall gegen
sie anstößt. Dieses „Zusammenscheitern" ist das Grundergebnis aller,
die aus dem Humanismus kommen, und nur das ist verschieden, wie
srüh oder spät es eintritt, mit wie viel Ernst und Bewußtsein es durch-
gehalten wird, und wie man sich aus den Trümmern oder aus neuen
besseren Werkstücken ein neues Haus zusammenbaut.

Die Grundstimmung ist immer mehr der Ekel und eine blasierte
Frivolität dem ganzen idealistischen Getue gegenüber. Diese Stimmung
ist immer noch im Wachsen, nicht zwar an Heftigkeit, aber an Breite.
Hinter ihr taucht bereits die Sehnsucht nach neuen Jdealen auf. Aber
sie produziert vorläufig nur moderne Spiegelbilder der alten Allgemein-
heiten und hat dann auch erstaunlich schnell begriffen, daß sie auch in
dieselbe Atmosphäre der Begeisterungsrhetorik hineingehört, in der der
ältere Jdealismus sein Leben der elektrisch aufgereizten Froschschenkel
führt. So hat sich neben der alten eine neue Begeisterungsrhetorik ge-
bildet, die den Mund womöglich noch voller nimmt, denn sie hat ihren
Schmuck ebenso billig wie die alte und bildet sich ein, etwas Neues ge-
schaffen zu haben das beflügelt noch extra.

Diese ganze Welt der Begeisterungsrhetorik ist dadurch noch be-
sonders fatal für ernste Leute, daß sie ihrer Herkunft aus der Schule
entfprechend etwas Kindisches an sich hat, für die einen mehr im
Sinne der sentimentalen Rührung, in die sie auch ein Kinderreim stürzen
kann, für die anderen des Zornes im Andenken an die Zeit, wo man
ihnen Lust und Liebe, ja die bloße Fähigkeit zu seelifcher Arbeit aus-
brannte, indem man ihnen über alle tiefsten und letzten Probleme des
Lebens fix und fertige Urteile, Entscheidungen, Formeln überlieferte.

Runstwart
 
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