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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1903)
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Bonus, Arthur: Begeisterungsreden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0587

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Wir wiederholen: Was ursprünglich Hilfsmittel ist, um eine
Sache genau zu bezeichnen, wird, nachdem die Menschen angefangen
haben, sich daran zu freuen, zu einem Schmuck der Rede.

Das ist das Erste. Es ist der Alterszustand jeder Kultur. Ilnd
das ist es, was uns Angst einflößt in Bezug auf die Beurteilung unsrer
Kultur. Es ist aber zugleich spezifisches Kennzeichen unsrer Fremdkultur,
und dann ist Hofsnung vorhanden, daß die Möglichkeiten, zu eigener voller
Kultur zu kommen, etwas größere sind. Wir haben in den Briefen des
jüngeren Plinius höchst merkwürdige Geständnisse eines, der es für
Pflicht hielt, wenn die Kraft der alten Rhetoren nicht da wäre, mindestens
ihren Stil nachzuahmen.

Das Schlimmere und Gefährlichere ist aber das Andre. Was
ursprünglich Aussprache und Deutung persönlichster seelischer Not und
Arbeit und damit Erlösung war, wird, nachdem die Menschen sich ein-
mal darin glücklich gefühlt haben, als Ausdruck von Glücksgefühlen
Festschmuck der Redc.

Jst nun die Gewisfenlosigkeit gegen das Wort als Ausdruck
eincr Wirklichkeit künstlich in uns großgezüchtet, so ist nicht zu ver-
wundern, daß schließlich — wie in unserer Begeisterungsrhetorik — der
Klang an sich regiert. Man verzichtet für seine Begeisterungszwecke
ganz auf das Medium der gestaltenden Phantasie und arbeitet geradezu
auf Betüubung. Die Geste, die Stimme und verworrene Eindrücke
aus einzelnen unartikulierten Worten ballen sich zu einem unwider-
stehlichen Wirbel, der fortreißt. „Aus der völkergebärenden Wiege Asiens
drohen ungezählte Millionen von Völkerstämmen." Man versuche, sich
diescn wirklich gesprochenen Satz im Volksversammlungspathos vorzu-
brüllen und er wird der Phantasie ohne Anstrengung das Situations-
bild eines patriotischen Festes bieten mit Vier, sogar viel Bier, denn
die alten Deutschen soffen erstaunlich und diese Tugend ist am leichtesten
nachzuahmen, mit dem Leichtesten aber muß man anfangen — Wolken
von Tabaksdampf — Lichter, Fahnen, Hin- und Herlaufen und Hin-
und Herrufen, und dies alles durchdringend, belebend, elektrisierend die
große Geste vorn auf dem Podium. Jn demselben Verhältnis, in dem
jener Satz zu irgend einer Möglichkeit von Anschauung steht, — in dem-
selben Verhältnis stehen unsere Feste zu irgend einer Möglichkeit von
Gedenken oder seelischer Vertiefung. Physisches und geistiges Sichbe-
rauschen, das ist der Charakter unserer Feste.

Wie kann man bessern?

Das einfachste und gründlichfte Mittel würe, daß man unsere alt-
klassischen Pädagogen zusammentriebe auf irgend einen deutschen Karne-
val, einen Teutoburger Wald und sie allda schlachtete.

Aber man wird das nicht tun wollen.

Es wäre auch nicht recht. Denn es gibt unter ihnen bereits viele,
und zwar gerade von denen, die am tiefsten in den Geist des Alter-
tums eingedrungen sind, welche den Unfug des altklassischen Jugend-
unterrichts durchschauen.

Nenncn wir also andere Wege.

Erstens: Muß denn überhaupt immer geredet werden zum Feste?
Die Sprache der Festfeier ist ja eigentlich doch gar nicht die Prosa, die

2. Ianuarbeft Z905
 
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