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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,1.1902-1903

DOI issue:
Heft 8 (2. Januarheft 1903)
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Bonus, Arthur: Begeisterungsreden
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https://doi.org/10.11588/diglit.7615#0588

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Rede, sondern die Poesie, der Gesang. Sogar falls sich der Haupt-
charakter des Festes als Gelage nicht ändern läßt. So ist es auch bei
uns in alter Zeit gewesen. Gesang steht von vorneherein unter anderen
Bedingungen als Prosarede. Gesang und Festspiel, wenns möglich
wäre, auch wieder der Reigen — das genügt vollständig.

Die Prunkrede ist humanistische Fremdüberlieferung, so recht ein
Symbol dieser Fremdkultur. Es wäre interessant, zu untersuchen, in-
wiefern sie mit dem Theater zusammenhängt. Das ältere Drama ist
fast wie ein Jnaktionsetzen der Gesühle und Tendenzen in Prunkreden.
Die Novellen der Renaissancezeit* sind von der wohltuendsten Schlicht-
heit mit einziger Ausnahme der Reden. Jn den Reden soll, scheint es,
wie im Drama das Gesühl selbst vorgesührt werden, was dann mit
O und Ach, o böswilliges Glück, o elendes Leben, o lieber Tod, der
du, die du, das du — exekutiert wird.

Man könnte versucht sein, es als natürlich und selbstverständlich
zu nehmen, daß gerade in den Reden, die das Gefühl eingiebt, die
Uebertreibungen und das Haschen nach großen Gesten ihre eigentliche
Quelle haben. Es mag das auch sür die südlichen Völker zutreffen.
Uns ist es sremd. Die nordischen Novellen, die sogenannten Sagas,
sind nirgends knapper, zurückhaltender als da, wo gesprochen wird, und
am meisten, wo in seelischer Erregung gesprochen wird. Dabei schlägt
diese Erregung gerade in ihrer Gedämpsthcit ganz anders in das
Blut des Lesers über als aus den langen wohlgesetzten Reden der
Jtaliener. Diese Art hat sich durch die Vermittlung der modernen
Nordländer selbst in das Drama übertragen. Jch bin der Meinung,
daß hier größere Möglichkeiten sür wirkliche Kultur sind.

Das Zweite, woraus ich hinweisen möchte, ist solgendes:

Unter der Herrschast des verlogenen Jdealismus haben wir jedes
Gefühl sür Wirklichkeiten, die gcistigerer Art sind als Speck und Kar-
toffeln, verloren. Sobald ein krästigeres Gesühl für geistige Wirklichkeit
eine stärkere Ueberzeugtheit von ihr erzöge, würde sich ein neuer Ernst
einstellen. Soll ich das ermutigendste Zeichen dasür nennen, daß die
Zeit noch nicht völlig verpaßt sei, so würde ich sagen, es ist dies,
daß ganz allgemein der „Jdealismus" gerade auf religiösem Gebiet,
wo er doch am ersten zu Hause ist, abgelehnt wird; es zeigt sich hierin,
glaube ichZ ein Gesühl dasür, daß er kein eingeborner, eigenwüchsiger
Jdealismus, sondern eine sremde Sprache ist, mit der wir unser Bestes
gerade nicht bezeichnen können. Wenn nur erst hinter diesem ab-
ziehenden Jdealismus ein wirklicher Glaube ausstünde. Wie der
mit der Begeisterungsrhetorik Zusammenhängt d Nun, ich meine, so-
bald das Spielen mit sremdartigen Redefiguren vorbei ist und wir
wieder Wirklichkeiten allein sür wert halten werden mitzuteilen und
auch zu seiern, so werden wir ansangen, zu begreifen, daß nur die-
jenigen Wirklichkeiten seiernswert sind, die wir mit einem starken, unbe-
kümmerten Glauben als gegenwärtig zu behaupten uns getrauen. Vor
gegenwärtigen Wirklichkeiten und Geistern wird unsere Rede von selbst
den Schwulst verlieren und zur Ehrsurcht und Zurückhaltung zurück-

* Der Jnselvsrlag hat kürzlich zwei rsizende Bändchen altitalienischer
Novellen heransgegeben, in denen man gut oerfolgen kann, was oben gesagt ist.

AunstwurL
 
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