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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,2.1909

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Heft 8 (2. Januarheft 1909)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8815#0099
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schon, dajz Gottes Ohren auf unser brünstig Gebet gemerket hätten, aber
es gefiele ihm, uns noch härter heimbzusuchen. Denn etzliche Lage nach
der Ankunft des durchlauchtigsten Königs G. A. kam das Geschrcie, daß
meiner Tochter ihre kleine Päte von dem leidigen Satan besessen sei
und gar erbärmlich auf ihrem Lager haushaltc, so daß sie niemand nit
halten könne. Machte sich mein Töchterlein allsogleich auf nach ihrer
kleinen Päte, kam aber allsogleich weiueud zurücke: daß der alte Paassch
sic gar nit zu ihr gelasscn, sondern sie fast hart angeschnautzet und ge--
saget, sie sölle ihm nie wieder in sein Haus kommen, inmassen sein Kind
cs vou dem Stuten* gekriegt, so sie ihm am Morgen verehret. Und cs
ist wahr, daß mein Töchterleiu ihr cinen Stuten geschenket, indeme dic
Magd den Tag vorher nacher Wolgast gewcsen war, nnd ein Tüchlein
voll Stutcns mitgebracht. —

Solche Botschaft verdroß mich fast heftig und nachdeme ich meinen
Pricsterrock angezogen, machtc ich mich anf den Wegk zum alteu Paasschen,
umb den leidigen Satan zu beschwercn, und solchen Schimpf von meinem
Kinde abzuwenden. Fand also dcu altcn Mann auf der Dielen,** wic
er an dcr Bodcnleitcr stund und weinete, und nachdem ich den Friedcn
Gottcs gesprochen, fragctc ihn allererst, ob er in Wahrhcit gläube, daß
seine kleinc Marie es von dem Stuten gekriegt, so ihr mein Töchterlcin
verehret? Er sagete: ja? und als ich darauf zur Antwort gab: daß denn
ich sclbsten es auch hätte kricgen müssen item Pagels sein klein Mädchen,
angesehen wir auch von den Stuten gessen, schwieg er stille, und sprach
mit einem Seufzer: ob ich nit wölle in die Stube gchen und sehen, wie
es stünd. Als ich dannenhero mit „dcm Fricdcn Gottes" hereintrat,
stunden an dic sechs Menschen umb der kleincn Marie ihr Vctte, und
hattc sie die Augen zn und war so steif wic ein Vrett, weshalben Stoffer
Wcls (als cr denn ein junger und wähliger Kerl ist) das Kindlein bei
cim Bein ergriff nnd es von sich reckete, wie cinen Zaunpfahl, damit ich
sähe, wie dcr Teufel es plagetc. Als ich nun ein Gebet anhube und
Satanas merketc, daß ein Dicner Christi angekommcn, fing cr an so
schröcklich in dem Kindlcin zu rumoren, daß es ein Iammer anzusehcn
war. Dcnn sie schlug also mit Händen und Füßcn nmb sich, daß sie
kaum vicr Kerls halten kunntcn, item ging ihr das Bäucheken so uf und
nieder, als wenn cin lcbendigcs Geschöpfe darinncn säß, so daß Ictzlich
die alte Hexe Lise Kolken sich oben auf das Bäuchcken setzetc. Als es
nun ein wenig bcsscr wnrd, nnd ich das Kindlein aufforderte, den Glanben
zu beteu, umb zu sehen ob es wirklich der Teufel sei so sie besessen***
wurd es noch ärger, dcnn zuvor, angcschen sie anhub mit den Zähnen
zu knirschen, dic Augen zu verkehren, und also gräulichen mit den Händcu
und Füssen zu schlagen, daß sie ihrcn Vater, so auch ein Vein hielt,
sast mitten in dic Stubcn wurf, und darauf sich dcn Fuß gegen das Bctt-
holz zcrquctschcte, daß das Blnt ihr herfürsprang, auch dic alte Lise
Kolkcn mit ihrem BLucheken auf und nicdcrflog, als cin Mensch, so

* Plattdeutsch, für Semmel ** Plattdeutsch, für Flur *** Man uahm
nämlich in jcner schrecklichen Zeit an, daß, wenn der Kranke dic drci
Artikel, und außerdem einige auf das Erlüsungswerk bczügliche Bibel-
sprüche nachsprechcn konnte, «r nicht besesscn sei, weil niemand Iesum
cinen Herrn heißen könne ohne durch dcn heiligen Geist! (. Korr. (2, 3.

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