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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,1.1910

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1910)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9031#0525
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Dienste höherer Kultur zu verarbei-
ten. Gott sei dank war Tolstoi ein
großer Dichter, der Dichter,
der als solcher die Welt gar nicht
einseitig sehen konnte. Er hat
Gestalten ins Heute hineinge-
schaffen, die doch erst begonnen
haben, durch die Völker zu schrei-
ten. Sie werden noch lange wer-
ben einfach durch ihr Sein, und,
weil mit einem vollen Sein, für
mehr werben, als die einzelne
Idee, die ihr Schöpfer an ihres
Weges Ziel stellte. Sie sind nicht
zu Papier gebrachte abstrakte Leh-
ren, sie sinü KrLfte. Und dieser
Kräfte Summe ist eine Kraft: die
Kraft des sittlichen Ernstes,
gls eine von deren Vermensch-
lichungen Leo Tolstoi selbst in
unsrer Zeit steht.

Ich verweise vorlänfig auf unsern
letzten großen Aufsatz über ihn
(von Bonns, Kw. XV, (3), der
auch von Bildnissen begleitet war.
Eines bringen wir auch heute.
Wenn die jetzt zu erwartende Flut
von Nachrufen vorüber ist, werden
wir dem Andenken des großen
Toten in aller Ruhe und Sorgfalt
nachgehn. A

Wilhelm Naabes Denk-
mal

Eine Bitte

ie Bitte läßt sich in zwei
Worte fassen: übereilt nichts!
Wenn einer geschieden ist, der nns
so teuer war, dann drängt sich
der Wunsch ja auf: schnell, setzt
ihm ein Zeichen nnsrer Liebe, so°
bald das nur gehen mag, und be-
nntzt dazn auch die Stimmung der
ersten Trauer — es ist gewiß nicht
nur ein Vordrängen, es ist eine
Eifersucht der Dankbarkeit edlerer
Art, was dann gewöhnlich bald zu
dem „Aufrufe" führt. Ist der erst da,
so ist aber fast immer auch dieBin -
dung da; es kommt einem schwer

an, den ersten Wohlmeinenden zu
widersprechen, und zum mindesten
teilen sich dann die Kräfte. Ich
weiß nicht, ob für Raabes Anden-
ken schon irgend etwas im Werke ist,
aber wahrscheinlich scheint mir das.
Deshalb: übereilt nichts! Sammelt
jetzt schon, ja. Aber ohne zu sagen:
dies oder jenes machen wir dafür.
Wer gibt etwas Raabe zu Ehren,
ohne irgendwie zu binden? Wer
gibt es zur freien Verfügung zu
unsres Meisters Ehren denen, die
ihn, seine Werke, seinen Geist am
besten kannten? Vertraut man mir,
so bin ich gern bereit, solche Gaben
schon jetzt anzunehmen und für die
berufenen Männer aufzuheben.

_ F- A.

Noch einmal der „Volks-
Goethe"

-AU der Besprechung Ezard Nid-
^dens über den „Volks-Goethe"
(Kw. XXIV, 4) ist zu berichtigen,
daß der „Urfaust" in dieser Ausgabe
nicht, die vermißten „Maximen"
dagegen unter dem Titel „Sprüche
in Prosa" doch aufgenommen wor-
den sind. Das Versehen ist dadurch
entstanden, daß dem Verfasser bei
der kritischen Verarbeitung nicht
von einer, sondern von sechs neuen
Goethe-Ausgaben zwei Notizen an
falsche Stelle geraten srnd. Er be-
dauert das natürlich um so mehr,
weil er sich gegen die Schmidt»
sche Ausgabe im wesentlichen ab-
lehnend verhält — und eben aus
diesem Grunde bedanert es die Re-
daktion des Kunstwarts erst recht.
Das Grundsätzliche der Kritik wird
dadurch nicht berührt. Auf dieses
Grundsätzliche nicht nur in des Ver-
fassers, sondern auch in unsrer
Gegnerschaft gegen den Geist, der
die Ausgabe der „Goethe-Gesell-
schaft" gestaltet hat und in weiteu
akademischcn Kreisen die ganze lite-
rarische Erziehung leitet, kommen

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Kunstwart XXI V, 6
 
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