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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 13 (1. Aprilheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0066
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in der Arbeit, in der lebensprnhen-
den Freude, im wilden, wütenden,
trotzigen Schmerz, — hatte sehen
wollen, wohin ein eben erst er-
lebter, ein ihm neuer Glaube
den Menschen reißen könnte. Han-
delte sich's doch um Menschen aus
Christi Zeit. Die aber, die ich
hier sah, waren alle schon durch
die Kirchenpforten gegangen, eh e sie
zu dem Meister kamen. Und indem sie
die Pforten durchschritten, licßen sie
die „Werktags"gedanken und die
„weltlichen" Sorgen und die „sün-
digen" Wünsche hinter sich. Es sind
Menschen in Stil! Nun lau-
schen sie dem Mysterium vom Gott-
menschen, wie es der Pastor ver-
kündigt, hören in frommem Er-
schrecken den Kraftbeweis seiner
Wunder, vor ihrem Blut steht der
Verklärte und sein gütiger Vater
und sie träumen vom Himmelssaal,
in dessen Freuden sie einst aufge-
nommen werden. Und die Zweifler
und Ungläubigen, die sich auf diesen
Bildern finden, das sind solche, die
übcr diese Predigt grübeln und die
bestimmt sind, von der Wahrheit
dieser Predigt erschüttert zu werden:
auch sie stehen im Bannkreis
der Kirche.

So zieht Gebhardt die Summe
des christlich-evangelischen Glaubens
unsrer Zeit. Man kann wohl sagen,
daß die ganze Kulturmacht
des Christentums in seinen
Werken zusammengefaßt ist. — Dies
ist die Einstellung auf diese Bilder.
Nun erst versenkt man sich ruhig
in ihren Gehalt, nun empfindet man
die Freundschaft, das Mitleid, die
Bewunderung, alle zarten und star-
ken Bande, die uns mit solchen
christlich frommen Menschen verbin-
den. Man kann sich nicht denken,
daß jemand diesem ernstcn und
gläubigen Sinne seine Hochachtung
versagt. Aus dem unendlichen
Reichtum bilden sich ein paar Klas-

sen heraus, deren Charaktere man
nicht vergißt. Nichts Herzgewinnen-
deres als das junge Mädchen, das
der Predigt oder dem Wunder unbe-
fangen, ungetrübt, unbeladen seine
ganze Seele cntgegenbringt. Es geht
durch viele Bilder, am rührendsten
ist es in der Auferweckung des
Lazarus gestaltet.* Hier befinden
wir uns übrigens wohl an der
äußersten Grenze des Ausdrucks, der
als Darstellung religiösen Ent-
zückens erträglich ist. Man braucht
kein Mephisto zu sein, um für diese
himmlische Verzückung auch an
irdische Gründe zu denken, so wenig
das Mädchen selbst von diesem Ir-
dischen in sich eine Ahnuug hat,
das ja auch nur ein allgemein
Menschliches ist. Ehre der kühnen
Naivität des Menschenfreuudes, der
diesen jungen Gemütern soviel Hiu-
gabe geglaubt und erlaubt hat!
Spotten und Karikieren ist leichter.
— Noch leuchtender in ihrer gei-
stigen Schönheit sinddie Gegenbildcr
der jungen Gemüter, die Alten, die
viel durchgemacht haben, aber, statt
vom Lebensmut abzufallen und sich
zu verlieren, in stets erneuter
Sammlung den Blick auf ihrer
Hoffnung festhielten. Nun sind ihre
Mienen ein Spiegel von Klarheit
und Ruhe. Auch diese Gruppe findet
sich auf verschiedenen Bildern in
einer Neihe von Gestalten; am voll-
endetsten in dem Mann mit der
karminroten Mütze, der als Studie
sowie unter den Zuhörern der Berg-
predigt erscheint, und in der Maria,
der Mutter des Herrn, die wieder
vielfach abgewandelt auf Gruppcn-
bildern wie in Einzelstudien ihrcn
Ausdruck fand. Kommen die dritten
Anvergeßlichen, — die ergreifende
Verkörperung der christlichen Barm-
herzigkeit. Wie sie lauschen, die
mühselig und beladen sind, auf die
Botschaft von ihrer Erquickung; wie

* Vergleiche die Bilder Kw.XXI, s8

50 Kunstwart XXIV, HZ
 
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