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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 13 (1. Aprilheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0065
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als Gottesdienst alten wie als Gott-
verkündigung neuen Stils angeboten
wird, im Grunde Diskussionsabend
ohne Diskussion? Gibt es nicht
mcistens Worte ohne Halt, Worte
ohne Wesen, hundertfach täuschende
Phrase, entsprechend dem Wirrwarr
unsrer Kulturlosigkeit . . . Ich suche
wahrhaftigen Gottesdicnst, ich
lausche, wo ein wahrer Hauch des
ewig Wirkenden mich berührt.
Darum danke ich für jedes echte
Wort wie für gutes Samenkorn,
darum gehe ich auch hin, wo Men-
schengeist durch andere Mittel jenes
Wesen erfajzt nnb gestaltet. Der
Sinn der alten Weisheit ist mir
verborgen, die gebietet: du sollst dir
kein Bildnis noch irgendcin Gleich-
nis machen. Seit Urzeiten hat der
Bildner den Propheten begleitet.
Und sie sprechen auch im Christen-
tum ergreifend, von den Katakomben
unü den alten Byzantinern bis zu
Michelangelo, von Michelangelo
bis Böcklin. Auch Gebhardt gehört
zu ihnen.

Was ich bei ihm suchte, läßt sich
schwer sagen. Anbetende Menschen,
— und ich wollte sie fragen: was
ist des Gottes Name, der euch er-
füllt? Nicht sein Taufname, nicht
sein Titel, sondern sein Wesen und
seine Art. Welcher Sonne würden
sie zueilen in ihrer Andacht, welche
Fesseln würden ihnen abgenommen
sein, welches endlich konnte der Ton
sein, in dem die wundervolle Har-
monie zwischen dem Menschenführer
und seinem Volke sich aussprechen
würde? Ich stand vor den Bildern;
ich erstaunte vor der packenden Echt-
heit dieser Typen. Niemand wird
sich der Macht dieses ersten Ein-
drucks entziehen. Aber indem ich
nun den Herzton zu finden suche,
stellt sich ein Mißbehagen ein. Ich
fühle eine gewisse Unberührtheit.
Ich empfinde wohl die Echtheit —
aber ich verstehe sie nicht. Ich sehe

erstaunte, hingegebene, andächtige
Gesichter, — es muß ein eindring-
licher, hoheitsvoller Redner sein:
aber was spricht er nur, was hören
sie nur? Ich sehe Aufregung und
Schrecken, auf dem Bilde dort mit
dem Kranken muß etwas Unerhörtes
geschehen sein: aber was ist es nur
für ein Wundermann, der da steht,
— was denken sie über ihn, wie ver-
stehen sie sein Wunderwerk? Und
doch kenne ich diese Gesichter, ich
habe sie schon gesehen. Wo doch?
So nachdenklich, so hilfesuchend, so
skeptisch, so strahlend, so bewußt an-
dächtig und gesammelt, wie sie in
diesem Graben als Zuhörer der
Wergpredigt sitzen, gerade wie sie
sitzen — so kenne ich sie. Aber
wo gehört dieses ganze Bild nur
hin? Der Leser errät die Antwort.
Ich jedoch stand so festgewurzelt in
Galiläa vor dem Meister selbst, war
so völlig dem Gefühl hingegeben,
den Quellpunkt religiöser Kräfte
zu erfassen, daß ich das ganze spätere
Christentum und unsre hentige
Kirche vergaß.

Endlich sprang mir doch das
Gegenbild aus der Wirklichkeit in
die Augen und lag plötzlich ausge-
breitet vor mir. Ich wußte jetzt:
In der Kirche sieht es so aus,
in der Kirche sind diese Menschen.
Ein einziger Blick gab mir in allem
die Bestätigung. So, wie diese Stu-
dien es darstellen, sehen die Durch-
schnittsbauern aus, wenn sie zum
Pastor kommen, — so die Gläubigen
und die Zweifler, wenn sie das
Evangelium vernehmen oder zum
Sakrament treten, — so die weltver-
leugnenden Gemeinschaftsleute, die
sich des Geistes und der Sprache
Kanaans rühmen. Kirchentypen,
Kirchenmenschen! Ich konnte eine
Enttäuschung nicht unterdrücken.
Ich hatte Menschen gesucht, in die
der göttliche Funke hineinfällt, un°
erwartet, im vollen Leben, mitten

h Aprilheft Ml
 
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