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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 18
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Riedner, Wolfgang: Heimatgefühl und Reisetrieb: zum "Reiseheft" des Kunstwarts
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0455
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Da vollzieht sich eben wieder die Ergänzung durch Gegensätz-
liches. Unbegreiflich aber, daß Großstädter auf Erholungreisen auch
außerhalb der Großstädte den Luxus mitmachen, der ihnen in ihrem
sogenannten Heim schon aufdringlich zu Leibe rückt. Bei einer kleinen
Minderheit, bei den platten Luxusmenschen von gediegenem oder
ungediegenem Reichtum, kann das freilich keinen Menschenkenner
wundern; allein daß so viele andere, mit größeren oder geringeren
Opfern, den Luxusbetrieb unterstützen und ermöglichen, das ist anders
als aus Nachahmungtrieb, Eitelkeit, gesellschaftlicher Feigheit nicht
zu erklären.

Diese „Promenaden" der Kurorte und „fashionablen" Sommerfrischen
mit ihrem kläglichen Markt der Eitelkeiten, wo alles herumlungert
und die Weibswesen meist nur dem einen Gedanken obzuliegen schei-
nen: wie sie die liebe Nächste ausstechen könnten. Diese Fortsetzung
des Kleiderluxus, des Dirnentreibens, der städtisch nüchternen Festlich-
keiten, der Kinderverkünstelung, diese Erweiterung der Mahlzeiten,
die bei der sportbeflissenen Minderheit das gute Ergebnis körper-
licher Bewegung teilweise wieder aufhebt und bei den reinen Luxus-
naturen die krankhafte Äberernährung noch steigert... Wer sich in der
außergewöhnlichen Zeit seines Iahres so wenig um Ergänzung seines
naturfremden Lebens, um wirkliche Auffrischung seiner selbst bemüht,
dem muß wohl weder echtes tzeimgefühl noch echte Wanderlust ge-
geben sein. Er braucht die Abwechslung zwischen Daheimsein und
Reisen nicht aus einem tiefern Drange nach Ganzheit, und er braucht
kein harmonisches Lebensgefühl. Lr ist bereits zu sehr mechanisiert,
um einen wahren Gegensatz zu seiner gewohnten Lebensführung zu
wünschen oder zu ertragen. Nnd von der Luftveränderung will er,
außer etwaigen gesundheitlichen Vorteilen, nichts als Vertreibung
seiner wohlverdienten Langeweile, nichts als Betäubung.

Um solcher Unnatur und Unkultur abzuhelfen, kann natürlich durch
Erziehungversuche am reisenden Subjekt nichts Wesentliches ge-
schehen. Auch hier verweist die einzelne Aufgabe auf die allgemeine
Kulturarbeit zurück. In künstlichen Zeitläuften ist es keine selbst-
verständliche Kunst, natürlich und ersprießlich zu reisen. Ohne Zweifel
empfiehlt es sich, den Unterricht in dieser Kunst so früh wie möglich
zu beginnen, also beim Kinde. Daraus ergibt sich wieder eiumal, daß
sür das Reisen der Schuljugend noch unvergleichlich mehr als bisher
getan werden muß. Doch dies steht auf einem andern Brett.

Wolfgang Riedner

Lose Blätter

Ausden„GlockenderHeimat"vonMüller-Guttenbrirrm

sUnsre Romanliteratur verbreitet sich über alle Gebietc des gegen-
wärtigen deutschen Lebens und sucht alle Konflikte ab, die unsre
Wirklichkeit darbietet. Da ist es denn recht anffällig, wie wenig
bis jetzt noch ein so gcwaltiger, von starken und tiefmenschlichen Leiden
und Leidenschaften bewegter Stoff wie der Kampf um die Heimatcrde und
die Muttersprache literarisch behandelt worden ist. Die „Sprachen-

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Kunstwart XXIV, j8
 
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