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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1911)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Otto: Vom klaren Denken
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0285
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Vom klaren Denken

ber Logik als Wissenschaft und über logisches Den-
II ken als angeborene menschliche Fähigkeit hört man täglich
^^ganz entgegengesetzte Urteile. Anf der einen Seite stehen beide
noch im Ansehn. Zumal in öffentlichen Debatten kann man den Gegner
kaum stärker herabsetzen, als wenn man ihm vorwirft, seine Ausfüh-
rungen entbehrten der Logik. Auch spricht es für die Achtung, die
man instinktiv der Logik zollt, daß es viele vermeiden, Behauptungen
schlicht aneinanderzureihen; sie verknüpfen sie vielmehr logisch unter
ausgiebiger Verwendung der Partikeln: weil, da, folglich, also, denn,
deswegen usf. — auch dann, wenn diese gar nicht am Platze sind.
Ls klingt dann wenigstens, als könnte man sich auf die mächtige
und allgemeingültige Autorität der Logik berufen.

Anderseits ist freilich eine theoretische Beschäftigung mit Logik wenig
beliebt und üblich. Auch nüchterne, am Sachlichen interessierte Per»
sonen, die viel und scharf zu denken gewohnt sind, haben nicht selten
eine große Abneigung dagegen, über den Gedankenprozeß selbst nach--
zudenken. Am wieviel mehr künstlerisch und produktiv veranlagte Köpfe!
„Da wird der Geist euch wohl dressiert,

In spanische Stiefel eingeschnürt,

Daß er bedächtiger fortan
Hinschleiche die Gedankenbahn."

Der „Fachmann" der Logik erscheint ihnen schlechthin als subalter--
ner, dürftiger Geselle, der am Formalen kleben bleibt, der Triviali-
täten breitspurig erörtert oder in kleinlichen Tüfteleien und zweck-
losen Spitzfindigkeiten sein Genügen findet. Schließlich wird dann
noch die Verachtung der Theorie auf ihre bewußte oder unbewußte
Anwendung übertragen. Das logische Denken gilt als eine für die
Notdurft des Lebens und für wissenschaftliche Kleinarbeit ganz nütz-
liche, aber im Vergleich mit schöpferischer Phantasie doch minder-
wertige geistige Funktion: Der Durchschnittsmensch mag am Gängel-
band der Logik mühselig seine Gedanken fortspinnen, dem genialen
strömt auch alles Wissen durch Intuition zu. Macht man einmal
den Einwand, irgendeine Begründung sei unlogisch, so wird man
herablassend belehrt, der Fall müsse „psychologisch, nicht logisch" auf-
gefaßt werden; oder man wird unwillig bedeutet, Anlogik sei doch
kein Linwand gegen ein Gedankengebäude: auf fruchtbare, anregende,
bedeutende Ideen komme es an, während ihre Verknüpfung und Ab-
leitung Nebensache und Kleinkram sei. Wer in den Geistesschöpfungen
eines Rousseau oder Tolstoi, wer in den Reden eines Bismarck unter-
gelaufene logische Schnitzer bemängelt, der gleicht dem flachköpfigen
Philologen, der in Goethes tzermann und Dorothea siebenfüßige Hexa-
meter aufstöbert, aber an der Schönheit des Kunstwerks stumpf vor-
übergeht.

Mit den Problemen der neuern Logik haben nun freilich alle solche

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