Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1911)
DOI Artikel:
Nidden, Ezard: Die Talente und die Dichtung
DOI Artikel:
Marr, Heinz: Mensch und Maschine: auch eine Osterbetrachtung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0197
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ob man sich an der Politik öffentlich beteiligen solle) in wirklich dichte-
rischer Gestaltung darzustellen; ein Lyriker sollte sich unbedingt an Prosa
versuchen, ein Novellist am Drama. Historischer Roman, historische
Novelle, Ballade — jedes dieser Worte schließt eine eigne Aufgabe in
sich, die von experimentierender Intuition und bedachtem Wirken im
Verein einmal versucht werden sollte. Freilich, halbgelungene oder miß-
lungene Ergebnisse sollten dann auch dem Tischkasten, sehr viele sogar
dem Papierkorb vorbehalten bleiben. Selbst die schulmäßige Nach-
ahmung fremder Formen oder das Äbersetzen aus fremden Sprachen,
das heutzutage so häufig sozusagen von berufmäßigen Stilverderbern
im Großgeschäft betrieben wird, kann unter Umständen eigne Kräfte
entbinden, wie denn das Stndium der Kunst einer eignen Kunst selten
schaden mag.

Natürlich ist alles das nicht so leicht, wie einfach multiplikatorisch
noch einmal das Bewährte bewähren. Aber wirkliche Kraft wächst im
Ringen, nur das „bloße" Talent (zu diesen gehören auch die, welche
nur ihre Autobiographie schreiben können) versagt. Nm dieses ist es
nicht schade. Wir brauchen die Talente nicht. Wir ersticken an talent-
voll beschriebnem Papier. Iene nichts-als-Talente drücken den Maß-
stab und das geistige Leben. Zum mindesten brauchen wir keine Aus-
beutung, sondern eine Entwicklung der Talente. Nnd die deutsche
Dichtung wird so lange an ihren Talenten kranken, wie wir sie ver-
wöhnen und pflegen, anstatt sie auf die Bahn der Arbeit und des ge-
meinen Lebens zu weifen. Ezard Nidden

Mensch und Maschine

Auch einc Osterbetrachtung

lle Kraft, die iir Seele, Gefühl und Nerven verstrickt ist, alle
I lebendige Kraft, bleibt in dreifacher Hinsicht technisch unzuläng-
^^lich. Sie ist stets individuell, einheitlich in sich und kann des-
halb weder willkürlich zusammengefaßt noch willkürlich gesteigert oder
geteilt werden. Ferner: sie unterliegt dem Gesetz der Lrmüdung.
Nnd endlich: sie braucht Zeit zum Wachsen und Werden. Was sind
zehn Pferde neben einem Daimlermotor von (0 ?8! Nnbegrenzt ver-
mehrbar und teilbar, unbegrenzt willfährig, geduldig, unermüdlich
ist nur die aus toten Stoffen erzeugte Energie. Die ist da auf den
ersten Ruf, gedankenschnell fast entsteht sie unter den Kombinationen
des Chemikers und den Berechnungen des Konstrukteurs — und sie
fordert weder Achtung noch Nachsicht.

Es ist das Prinzip der Technik, die Begrenztheit des Organischen
zu durchbrechen, lebendige Kraft durch launenlose Energie zu ersetzen,
die unzulängliche Schöpfung durch die vollendete Konstruktion, die
Natur durch das Surrogat, das Persönliche durch das Sachliche zu
überbieten. Aber dieser Wille, der, jedem fühlbar, bedrohlich und
entseelend das ganze moderne Dasein durchdringt, findet seine Grenze
und Tragik in der Nnmöglichkeit einer reinen Erfüllnng. Mag
es gleich künftig gelingen, die Arbeit von organischen Stoffen und
tierischer Mithilfe unabhängig zu machen, mag gleich die „Pferde-
kraft", die sentimentalerweise noch immer Maßstab maschineller Leistnn-

sSO Kunstwart XXIV, sS
 
Annotationen