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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1911)
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Avenarius, Ferdinand: Schmücken? Gestalten!
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0016
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Iahrg.24 Erstes Aprilheft ISll Hest 13

Schmücken? Gestalten!

estalten müssen wir lernen, ehe wir wieder ans Schmücken
I v^gehn. Man könnte aller angewandten Kunst gar keinen größeren
-^Dienst leisten, als wenn man zehn Iahre lang jegliches Dekorieren
verpönte. Wir müssen lernen, die Dinge aus Stoff und Zweck
heraus zu formen. Wann wird die Wichtigkeit dieses Rufs allge-
mein erfaßt, wann wird ihr Folge gegeben werden? Können wir erst
mit voller Sicherheit gestalten, dann mögen wir's wieder mit Dekoration
versuchen, wenn wir die Finger mal nicht davon lassen können. Aber
vor dem Schnörkelmachen, dem immer entbehrlichen, müssen wir das
Schreiben lernen.

Dem kunstgewerblichen Iammer kann dadurch geholfen werden,
„daß wir vor allem unsern Kunstgewerbetreibenden und uns, dem
kaufenden Publikum, als erste und tzauptsache beim Schaffen und
Betrachten eines Gegenstandes die Frage angewöhnen: woraus be-
steht er und was soll er, und spricht sich die Antwort darauf
klar und wahr in seiner Erscheinung aus? Lassen wir uns
nicht durch Kinkerlitzchen bestechen, die unserm Auge vielleicht im
ersten Augenblick schmeicheln — auf die Dauer werden wir nur
das gern in unsrer Rmgebung sehn, bei dem wir auf jene Fragen
ein entschiedenes Ia zur Erwiderung haben". Ich bitte um Verzeihung,
wenn ich mich wieder mal selbst zitiere; da ich meine Aufsätze nicht als
Bücher herausgegeben habe, muß ich das, um den Zusammenhang
meiner Arbeit nachzuweisen, damit es nicht scheint, als redete ich heut
so, morgen so, wie eben der Wind weht. Man könnte mir dann nicht
glauben, daß ich immer wieder Äberlegtes und in diesem Sinne
Erprobtes sage, darauf muß aber halten, wer nicht nur theoreti-
sieren sondern wirken will. Iene Zeilen stammen aus meinem ersten
Aufsatze in Sachen des Kunstgewerbes, er erschien im Kampf gegen
das damals herrschende „Altdeutsche" vor dem breiten Publikum der
,,-Sartenlaube" im Frühling s885. Und hatte zur Folge, daß ich von den
Koryphäen ausgelacht wurde. „Als wenn nicht das Schöne von jeher
Luxus gewesen wäre, eben das nicht an die Niedrigkeit des Zwecks
geheftete, eben der Schmuck!" Man ist in den sechsundzwanzig Iahren
seither denn doch andrer Ansicht geworden, und das Argument, das
man mir damals entgegenhielt: „nach Ihrer Ansicht müßte ja sogar
eine Lokomotive schön sein können", würde heut gar nicht mehr
Verstanden werden. „Man?" Sind wir wirklich schon so weit, daß
endlich allein das Gestalten als das Entscheidende empfunden
wird? Seit ich „bei der Feder" bin, ist kein Aufsatz von mir über
dieses Thema ohne Widerspruch erschienen, und wenn auch dank
dem Eingreifen der Künstler das Verständnis für diese Frage sich
verhundertfacht hat, fest stehen die neuen Errungenschaften noch lange
nicht. Nicht beim Publikum: es will immer wieder Sachen, „wo was
daran ist". Nicht bei der Industrie, die ausweislich der Leipziger
Messe immer noch, ja heuer vielleicht wieder mehr auf „Dekor" auch

i- Aprilheft Gii i
 
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