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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 16 (2. Maiheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0299
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Lose Blätter

Aus „Altershausen" von Wilhelm Naabe

sMeun dieses Heft in die Hand unsrer Leser kommt, wird Wilhelm
Raabes ^Altershausen" wohl bei Otto Ianke in Berlin erschienen sein,
„im Auftragc der Familie herausgcgeben und mit einem Nachwort ver--
sehen von Paul Wasserfall", Raabes Schwiegersohn. Hent, da ich schreibe,
habe ich noch nicht das Ganze vor mir, und es wäre ein nicht nur vor-
schnelles, sondern höchst verwerfliches Unterfangen, dieses Ganze nach
seinen ersten Stücken „rezensieren" zu wollen. Aber solcherlei Absicht
licgt mir auch fern. Meine Zeilen wollen nichts weiter, als sagen:
Ihr Freunde Raabes, das Buch ist d a, also lest es. Und unsre Proben
sollen nichts weiter tun, als die Andern, die Vielen fragen: sind unter
euch wirklich nur wenige, denen solche Dichtung etwas von dem gibt, was
unsre armen Seelen doch überall auf Erden suchen, bewußt und hundert-
mal öfter unbewußt: etwas gibt, das sie lieben können?

Raabe zu rezensieren — ja ginge denn das überhaupt an, und vor allem:
hätt es wirklich viel Zweck? Was er, gerade was Raabe schenkt, ver-
standesgemäß abzuleuchten und das Gefundene begriffsmäßig zu fassen,
zu sichten, zu ordnen — es war von je eine der Tätigkeiten, die das
Allzumenschliche im kritischen Tun ganz besonders peinlich empfinden
lassen. Es ist nicht schwer, Vorzüge seiner Kunst einigermaßen zu be-
schrciben, und es ist kindcrleicht, Mängel seiner Weise aufzuzeigen, auch
wenn man nicht der Meinung ist, nnr das gerade heute Kritikgerichts-
notorische habe Maß zu geben. Aber es stsht zu vermuten, daß, was
wir so hcrausbrächten, im Wesentlichen gerade so gut von andern gälte,
auch von Leuten, an deren Bücher wir schon nicht mehr dächten, während
die Stimmen vom letzten Raabe her immer noch zu uns weiter
sprächen. „Höchstes Glück dcr Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit."
Das feinste und tiefste fassen die Bügel und Schrauben unsrer Begriffs-
mechanik nie. Man kann's nicht aufspießen und vor die Lupe geben,
man kann nur sagen: sucht es dort oder hier. Ein kleinlicher Vergleich!
Sagen wir einfach, was freilich jeder weiß aber was er doch immer wieder
vergißt: Persönlichkeit kann auch vom Lesenden nur selber gefunden,
nur am Leser selbst erlebt werden.

Raabes „Altershausen" ist sein Abschiedsbuch vom Leben, und ist
das Buch der Geistesheimreise eines Greisen in sein Iugendland. Iungen
Menschen wird es also schon des Stoffes wegen nicht leicht sein, da zu folgen.
Aber das möchte ich mit aller Entschiedenheit betonen: „Altershausen"
ist nicht etwa ein Werk ermatteter geistiger Kraft. Raabe war ein
Ausspinner und Verweiler von je, er ist's auch hier, aber durch loguaeiras
senilio liegt in allem, was ich hier gelesen habe, kein taubes Korn. Es
sind Kleinigkeiten da, bei denen man denkt: hätt er die Handschrift ganz
druckfertig gemacht, er hätte das wohl noch geändert. Für dies und
jcnes, das nicht ganz gestaltet, nicht ganz „durchgehalten" ist, entschädigt
dic Größe der Konzeption und der Idee — das war immer bei Raabe
so. Zu seinem Vorteile, aber auch vor einigen andern Raabes gewinnt
dieses Buch eine Stärke aus dem, woraus die Entwicklungsromane der
Iungen ihre Stärkc gewinnen: aus der unmittelbaren Spiegelung, nein,

2. Maiheft Ml 239
 
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