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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 15 (1. Maiheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0205
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Lose Blätter

Aus Friedrich Huchs „Enzio"

sWir bringen rnit besondrer Freude hier einige Proben aus Huchs
neuem Roman, der in der Rundschau dieses Heftes („Vom Stillstand und
Fortschritt der Talente") bcsprochen ist. Allerdings läßt sich auf diescm
Wege kein Einblick in das wundersame innere Gefüge der Dichtung geben,
die sich zwar aus sehr zahlreichen ziemlich deutlich getrennten Teilen
zusammensetzt, aber nahezu alle Tcile dnrch die fortwährende innere Be-
ziehung aufeinander in ein großes, wogendes Ganzes bindet. Am leich-
tcstcn lösen sich noch cinige Briefworte über Musik heraus, die der
Komponist Richard seinem Freund Enzio mittcilt; von dicsen finden die
Leser zwei kleine Abschnitte in der Rundschau dieses Heftes. Was wir hicr
abdrucken, mag für das Liebenswerte und Anvergleichliche des jungcn
Enzio selbst werben. Mancher Zug wird da unmittelbar anschaulich.
Wie etwa ein früher Trieb zur Schönheit schon die spätere Hingebung
an den Augcnblick vordeutct odcr das an Licbe überreiche Wesen von
Enzios Mutter Caecilic zuweilcn schon wie mit einer Ahnung seines un°
abwendbaren Schicksals angctan ist — in solcher Weise vorzüglich wird
die innerc Notwendigkeit des ganzen Ablaufs offenbar, und wenn das
bunte Leben in der spaßhaften Gestalt der kleinen praktischen und be-
dachten Pimpernell — einer der heitersten Figuren, die Huch aus Alltag
und Kleinwelt in der Sphäre des Künstlerlebens hineinwirbelt —, der
rührenden Bienles und der ernsten Irenes, in der Liebe und Menschen-
würde so innig verwachscn sind, wenn das Leben so unendlich viele Wellen
dem Fahrzeug Enzios entgegenwirft, so bleibt doch immer cin Grundge-
fühl starker Naturkraft und wesenhaftcr Lebensführung. Ein Grundgefühl,
das mit dem Instinktmangel, den man an unsrer Zeit so oft bcklagt,
nichts gcmein hat. Und so crfüllt sich auch an diesem Kunstwerk, das
wahr bis in jeden kleinen Zng ist, jene hohe Forderung, daß es an die
von Alltagstoffen ungetrübten Ouellen unsres Wandcls und Geschicks leitc.^j

<K>

(Aus Enzios frühester Kindheit)

XL^nzio wuchs heran zu einem Knaben von außerordentlicher Schön-
heit. Er war so schön, daß die Menschen auf den Straßen erstaunt
und ihm nachsahen.

Denk dir, sagte Caecilie eines Tagcs zu ihrem Manu, Enzio kommt
zu mir in mein Schlafzimmer und sagt: Mama, schick Susanne weg;
ich mag Susanne nicht mehr; sie ist häßlich. — Der Kapellmeister schmun-
zelte: Nicht übel, Susanne ist auch nicht mein Geschmack. — Aber er
kennt sie doch solange er nur denken kann, und sie ist immer nur liebe-
voll zu ihm gewesen! Ich habe ihm das auseinandergesetzt, er weinte sogar,
sah alles ein und schenkte ihr darauf seinen silbernen Vecher. Aber ich
verstehe das von Enzio nicht, da er doch soviel Seele hat! — Schickst du
nun Snsanne fort? — Liebes Kind, sagte Caecilie, du bist zerstreut! klopfte
ihm auf die Schulter und ging wieder.

Enzio weinte oft lange, wenn ihm Laecilie Vorstcllungen machte wegen
einer begangenen Ungezogenheit, dachte nicht vicl über den Sinn ihrcr

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