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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 16 (2. Maiheft 1911)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0308
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Allgemeineres

Rundschau

„Feig und gewiffenlos"

o bleiben denn die Vertreter
der Geisteswissenschaften, die
Philosophen voran, in dem Kampfe,
der das geistige Leben unsres Volkes
durchzittert? Bleiben sie nicht alle
hübsch vorsichtig im Winkel stehen?
Sie bringen es über eine schwäch-
liche Skepsis nicht hinaus und
schalten sich damit selbst aus den
Reihen der Vorkämpfer für eine
neue Zukunft aus. Wie Lürften
sie sich beschweren, daß die Natur-
wissenschaftler den Platz einnehmen,
den sie selbst, theoretisch und prak-
tisch, feig und gewissenlos, offen
lassen?«

Liest man solche Worte in einer
Tageszeitung, so fallen sie nicht
allzusehr auf; man ist bei
uns in den politischen Kämpfeir,
wo auf Masseninstinkte und eine
vulgäre Art von „Schadenfreude"
spekuliert wird, an maßlose nnd
überhitzte Angriffe gewöhnt. Im-
merhin würde man ein Blatt von
solchen Ausdruckformen kaum zu
den vornehmeren zählen, und es wäre
gar nicht zu verwundern, wenn
seine Gegner aus einer solchen
„Bloßstellung« Kapital schlügen;
unsre Hochschulen und ihre Lehrer-
schaft genießen ja doch immer noch
in weiten Kreisen Respekt. Man
wird mich nach meinen Kunstwart-
aufsätzen zur Universitätenreform
nicht zu den blinden Anhängern
der so hart Angegriffenen rcchnen,
aber als ich diese Worte las, kam
es mir doch wie ein Zorn und
eine leise Scham. Ich dachte an
manchen feinen Kopf, der mir da
und dort begegnet war. Da suchte
einer mit heißem Bemühen auf
mannigfachen Pfaden des Gcistes
die etlichen Ideen der menschlichen
Geistesgeschichte kritisch zu durch-

dringen, um für eine neue Schöp-
fung innerlich und äußerlich den
Boden zu bereiten, ein andrer rang
um Klarstellung der Grundlagen
unsres Denkens, indem er
von pshchologischer, mathematischer
und historisch-logischer Vorarbeit
aus gleichzeitig vordrang, ein drit-
ter, skeptischer veranlagt, suchte in
kurzen und schlagenden Aufsätzen,
deren jeder eine große Geistes-
arbeit in ein knappstes Resultat
zusammenfaßte, gegen allerlei
Schiefheit und Aberschwang des
modernen Denkens kritisch zu stim-
men, dieser warb für Sachlichkeit
nnsrer ethischen Lebensanschauung,
jener für mcnschlich-lebendige Auf-
fassung der Urphänomene des Da-
seins. Und überall wogte und
schuf Geist aus Geist, um mit
Atem zu durchdringen und starkcm
Antrieb zu beleben, was zmmer
als ziellose Kulturwelle und über-
mächtig-mechanische Zivilisation-
gewalt rings um uns brandet und
brodelt und tobt. Die Erinnerung
haftete mir endlich in einer jener
prächtig nnordentlichen, ein wcnig
lichtarmen und weltstillen Gelehr-
tenwohnungen, wo solche Antriebe
als elektrische Funken denGedanken-
hochspannungen entspringen. Ich
bat einmal einen trefflichen Lehrer
und tiefgründigen Forscher, über
Aristoteles, von dem er im kleinen
Kreise oft gesprochen, ein Kolleg
zu lesen, damit seine klaren und
fruchtbaren Auffassungen weiter
drängen und wirken könnten. „Ich
kann es nicht versprechen,« meinte
er, „zwar, — seit 2H Iahren plane
ich es, aber die Riesengröße des
Gegenstands drängt mich immer
wieder, ihn noch tiefer zu besinnen.
Das Wichtigste an Forschungen
und Vergleichungen habc ich nieder-

2H8

Kunstwart XXIV,
 
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