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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 24,3.1911

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Heft 16 (2. Maiheft 1911)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9032#0300
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hier: aus der unmittelbaren Ausstrahlung dcs gerade jetzt tief innerlich
Durchgemachten. Denn der Held ist ja doch nach der Essentia e r. Wenn
Raabe nicht in der Ich-Form und vom siebzigsten Geburtstag eines
Geheimen Medizinalrats und mit andern Einzelerlebnissen als denen
seiner Wirklichkeit spricht, so fühlen wir doch bei „der Dichtung Schleier"
in jedem Augenblick „die Hand der Wahrheit", die ihn reicht.

Ansre kleinen Proben führen den Leser mit Absicht nur soweit, bis
er nach Altershausen kommt. Was dort geschieht, davon wird er im
Buche weiterlesen. Es ist ein tief ergreifendes, in gewissem Sinne sogar
ein großes Buch. A

W

berstanden!"

^ I Der das sagte, lag in seinem Bette, und nach dem Licht auf dem
> ^^Fenstervorhang zu urteilen, mußte die Sonne eines neuen Tages be-
reits ziemlich hoch am Himmel stehen. Es war dem befreienden Seufzerwort
ein längeres Zusammensuchen, erst der körperlichen Gliedmaßen, sodann der
noch vorhandenen geistigen Fähigkeiten voraufgegangen. Beides nicht,
ohne daß es, wie die Kinder sagen: wehe getan hatte.

Das Alter spricht oft der Kindheit ein Wort nach, weil es von
Natur kein besseres weiß nnd, wenn es im Laufe der Iahre danach ge-
sucht haben sollte, keines gefunden hat. Man braucht sich nicht immer
an einer Tischecke gestoßen zu haben, es kann einem auch sein siebzigster
Gcburtstag freundschaftlichst, ehrenvoll-feierlichst begangen worden sein.

Man schrieb den vierundzwanzigsten August, an welchem Datum im
Iahre Neunundsiebzig nach unseres Herrn und Erlösers Geburt Her-
kulanum und Pompeji verschüttet worden warcn, und an dcm im Iahre
Fünfzehnhundertzweiundsiebzig der heilige Bartholomäus im himm-
lischen Ehrensaal in kopfschüttelnder Betrachtung vor dem Glasschrank
mit seiner Erdenhaut stand, brummte:

„Hm, hm, hm!" und sich fragte:

„Hab ich die mir eigentlich dafür von meinen lieben Armenicrn ab-
ziehen lassen?" —

Am Tage vorher, das heißt nicht vor dem Nntergang von Herkulanum
und Pompeji oder der Pariser Blutnacht des heiligen Bartholomäus,
sondern an einem, weder historisch noch ethisch gleichwertigen dreiund-
zwanzigsten August eines der letzten Iahre des neunzehnten Iahrhunderts
hatte vor siebzig Iahren das Menschenkind, das jetzt aufrecht im Bette
saß, das Licht der Welt, wie man euphemistisch sagt, erblickt und seine
gegenwärtige Mitwelt: Verwandtschaft, Freundschaft und Bekanntschaft
— Patronen nnd Kliententum, schien sich wirklich gefreut zu haben, den Tag
unter ihren Erlebnissen mitfeiern zu können. Ein langer Satz, aber
dem Geschehnis angemessen! —

Es roch um den erwachenden Iubelgreis nach Kuchen — Geburtstags-
kuchen, Hochzeitskuchen, Begräbniskuchen — nach dem Kuchen aller Erden-
festlichkeiten!

W

Er wurde einige Tage durch sich unerträglich, und da auch Negen-
wetter einficl, gab er natürlich seiner Stimmung oder Vcrstimmung
anderen gegenüber laut. Er bellte nicht, aber er äußerte, wie seine

2H0 Kunstwart XXIV, f6
 
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