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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 18 (2. Juniheft 1912)
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Rath, Willy: Strindberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0421
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Deir Glücksucher hemmte im eignen Innersten immer wieder die
grenzenlose Feinempfindlichkeit des Gewissens, des ganzen Gcmntlebens, der
Nerven, des seelenkundlichen Beobachtens. Und die Aberempfindlichkeit
stach um so spitziger nach innen, da sie nicht durch Humor gemildert
wurde. Strindberg hatte trotz zeitweiliger Schroffheit nichts von der Kälte,
die manche ihm nachsagten; Herzenswärme und Aberlegenheit führten ihn
des öftern nah an die Grenze des Humorlandes; allein das dritte fehlte: die
Fähigkeit (nicht die Sehnsucht) zu der Heiterkeit, der heiteren Schwere-
freiheit, die sich mit Wärme und Aberlegenheit verbünden muß, wenn die
Grenze überschritten werden soll. Der geistvolle Denker, der unübertrefflich
schlagfertige und zuweilen sehr witzige Dialogführer bleibt im Kern doch
cin Humorloser, Ernstumfangener. Er darf keinen Konflikt umgehen und
aus der Welt lächeln, er muß jeden errcichbaren schmerzlich durchkosten.

Dem Geistsucher wiederum ward oft und oft der Erdenglücksncher ver-
hängnisvoll. Eine außerordentlich stark ausgeprägte Sinnlichkeit — im
weiten und im engsten Sinn — kam einerseits seiner Kunst zugute, ließ
ihn aber anderseits bci der Wahl einer Gefährtin allzusehr nach sinn-
lichen Eindrücken cntscheiden und ließ ihn in ehelichen Verhältnissen aus-
harren, wo Nachgiebigkeit längst nicht mehr am Platz und sein Schaffen,
seine Ehre, Verstand und Leben gefährdet waren. In der erschütternden
„Beichte eines Toren" bekennt er das unverhohlen; die Gerechtigkeit er-
fordert den Zusatz, daß auch die Anhänglichkeit an seine Kinder, auch
seine mehrfach betonte „monogame" Nnlage schuld an seiner Schwäche
gegen die geistig-sittlich unebenbürtige Frau sind. And man weiß, daß
die Selbsttäuschung bei der Wahl der Gefährtin sich wiederholte. Dies
wird nicht völlig erklärt durch das bittere Wort aus dem epischen Drama
„Nach Damaskus": „Das kommt daher, daß ich zeitig einsehen lernte, es
sei unnötig zu wählen, wo alle gleich seien." Lr wählte vielmehr, scheint
es, wesentlich nach dem Eindruck sinnlicher Schönheit und urteilte nachher
wohl auch allzu scharf. Von Liebe-Bedürfnis getrieben, lcgte er sich dreimal
die ehelichen Fesseln an, die zu tragen seine Geistnatur nicht geschaffen war.
Was er ohne Zweifel als Mann wie als Künstler für sein Necht ansehen
durfte; was ihm aber nachmals maßlose Pein schuf.

Die stärkste änßere Hcmmung war für Strindberg, von früher Iugend
an, dieselbe wie für unzählige andre Geistesarbeiter und Künstler: die
Geldnot. Durch einzelne Erfolge ließ sie sich zeitweilig verjagen, kam
aber getrenlich immer wieder und wurde, wie in aller Erinnerung sein
wird, erst zu des Dichters letztem, dreiundsechzigsten Geburtstag (22. Ia-
nuar), vier ganze Monate vor dem Tode, endgültig beseitiat. „Schulden,"
bekannte er im reifen Mannesalter, „die wuchsen und wuchsen und niemals
bezahlt werden konnten, wurden der Geier, der an seinem Leben hackte,
der Gegenstand sciner Träume, der Wermut seiner Freuden." Wir wollen
dabei nicht verweilen, wollen aber nicht versäumen, zu erwähnen, daß
Strindberg beim Empfang der späten Ehrengabe sein vor vielen Iahren
gesprochenes, von der Außenwelt lang vergessenes Wort, er wolle nicht
Reichtum für sich, durch die Lat bekräftigt hat: er gab die nationale
Spende zum großen oder größten Teil für gemeinnützige Iwecke weiter —
obwohl sie ihn keineswegs in Neichtum erstickt hätte, selbst wenn sie nicht
hauptsächlich zur Tilgung alter Schnlden verwendet wordcn wäre.

Eine eigentümliche Rolle spielte seine Herkunft bei ihm, und zwar weit

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