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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 18 (2. Juniheft 1912)
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Rath, Willy: Strindberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0420
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Schriftsteller unsrer Ieit einzuordnen, kann wohl noch auf Befremdetsein
und Widerspruch stoßen. Ie mehr man sich aber in die Welt Strindbergs
vertieft, um so unerschütterlicher muß man sich überzeugt fühlen, daß die
Nachwelt ihn als echten Promethiden, als den Fanst in der germanischen
Literatur unsrer Tage — genauer: von MO bis MO — anerkennen wird.
Diese Welt Strindbergs, daraus noch vieles für die Allgemeinheit zu ge-
winnen ist, besteht nur zum kleineren Teil ans unpersönlich gestalteten
Wortkunstwerken, besteht überhaupt nicht ausschließlich aus Büchern, son-
dern aus einer unlöslichen Verflechtung von Leben, Denken und Dichten —
kurz: aus dem Gesamtbild der Persönlichkeit, wie es sich aus all seinem
Geschriebenen ergibt.

Die schöne deutsche Ansgabe, die seit ein paar Iahren* im Entstehen
begriffen ist, umfaßt nicht weniger als vierzig Bände, in denen mehr
als vierzig Dramen, fünf Nomane, sieben Teile Lebensgeschichte, acht
Bände Novellen (nebst „Miniaturen", Fabeln u. a.), vier Gedichtsamm-
lungen und neun Bände höchst verschiedenartiger wissenschaftlicher Ar-
beiten (sozialkritischer, naturwissenschaftlicher, dramaturgischer, chemischer)
eingeschlossen sind. Mit unerschöpflicher Schaffenskraft strebte er also,
sämtliche Gebiete des Schrifttums zu erobern. Der stärkste Reiz aber
und der sicherste Dauerwert leben in denjenigen seiner Werke, die am un-
mittelbarsten von der seelischen Entwicklung ihres Urhebers zeugen. Sein
Lebenswerk im engern Sinn ist demnach das Werk seines Lebens selbst:
dies mit unendlicher Empfindlichkeit durch und durch gefühlte, zugleich
geistig durch und durch kontrollierte und mit unerhörter Aufrichtigkeit
stückweise gebeichtete Leben eincs geborenen Suchers von Bedeutung.

Ein Gottsucher, cin Sucher allgemeinen und eignen Glücks, Sucher
eiuer Idcalwelt, dcren Bild von Anbegiun in ihm war und im Widerstreit
mit der Wirklichkeit sich ihm mehr und mehr enthüllte (oder auch wieder
verhüllte) — mit eincm Wort: ein Idealist reinster Art war dieser „Natu-
ralist", dieser bittere Zweifler und „Ankläger". Und er blieb Sieger, da
er, in allem Wankelmut, treu blieb; da er seiner innersten Wesensart,
nämlich seinem Suchertum und seiner besonderen Sendung, dies eindring-
lichst gelebte Leben dichterisch Zu projizieren, jegliches Opfer brachte.

Daß der Sucher ein Kämpfer werden und zeitlebens bleiben mnßte,
dafür lagen in seiner Natur und in seiner Umwelt soviel Gründe, wie nur
je den Zwang zum Kampf hervorbrachtcn.

* im Verlag Georg Müllcr, München; veranstaltet vom Dichter
selbst unter Mitarbeit seines tüchtigen Abersehers Emil Schering.
Ein großer Teil der Werke, besonders der erzählenden, ist bereits, mit
Bildnissen Strindbergs aus allen Lebensabschnitten geziert, erschienen.
Auch ein Buch über ihn von Hermann Eßwein (mit vielen Bild-
beigaben), eine geistvolle Charakteristik voll persönlicher Wärme und ge°
legentlich auch persönlicher Hitze, in seiner männlichen Subjektivität dem
Gegenstand sehr wohl angemessen. — Reifen Menschen (andere sollten
fernbleiben), die sich Strindberg nähern wollen, sind vor allem zu emp-
fehlen: dic Zeitromane „Das rote Zimmer" und „Die gotischen Zimmer",
der Charakterroman „Am offnen Meer" und die unmittelbar autobio-
graphischen Lrzählungen „Der Sohn einer Magd" ((886), „Die Beichte
eines Torcn" ((888/93), „Inferno" ((897), „Legenden" ((898), „Entzweit"
((902), „Einsam" ((903).

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