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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 16 (2. Maiheft 1912)
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Rundschau
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0314
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fordert, die aber früher als jede
andere bewacht und kultiviert we»
dcn muß, weil der entgegengesetzte
Hang, wenn man ihn hat einwur-
zeln lassen, am schwcrsten auszu-
rottcn ist. Nun vergleiche man
damit unsre Erziehungsart, vor-
nehmlich im Punkte der Religion,
od:r besser der Glaubcnslehren,
wo die Treue des Gedächtnisses in
Beantwortung der sie betreffenden

Fragen, ohne auf die Treue des
Bekenntnisses zu sehen (worüber
nie eine Prüfung angestellt wird),
schon für hinreichend angenommen
wird, einen Gläubigen zu machen,
der das, was er heilig betcuert,
nicht einmal versteht, und man
wird sich über den Mangel der
Aufrichtigkeit, der lauter innere
Heuchler macht, nicht mehr wun-
dern. Kant

Ansre Bilder und Noten

>-^-^^-enn das Bild vor unserm Heft nicht das Zeichen eines der schon
M Mlange Berühmtesten unter den Berühmten trüge, das Wilhelm
Trübners, wer weiß, ob man nicht vor fünfzehn Iahren noch
sich weggewandt hätte, ohne sich überhaupt die Mühe des näheren Be-
trachtens zu geben. „Klexerei", „häßliches Frauenzimmer", „nicht zeichnen
können" — solche Urteile waren ja als fertig gcprägte Scheidemünzen in
allen Portemonnaies, und man nahm sie überall in Zahlung. Aber
untcr den guten Gaben, die uns die neue Bewegung (neben cinigen
zweifelhaften) verschafft hat, ist eine: daß Publikus mit dem Absprechen
vorsichtiger geworden ist.

Sind wir aber seitdem wirklich alle miteinander so viel „gescheiter",
ich meine, so viel genußfähiger geworden, daß wir jetzt ohne weiteres an
eincm Wcrke wie diesem unsre helle Freude hätten? Odcr tun so-
undso viele unter uns nur so? Wer unsre Kritik kennt, dem sieht es
znweilen aus, als fürchte sie in der Angst vor dem „Schulmeistern" doch
gar zu sehr alles, was nach „Belehren" auch nur bei einigem Nebelwetter
aussieht: man redet zum Leser, als sei er genau ebenso ans Vilderbesehen
gewöhnt, wie Kritikus selber, und als wär es deshalb cine Beleidigung
für ihn, ihn auf „Elementares" aufmerksam zu machen. Aber dcr Pro-
fessor, der Doktor, der Richter, der Pfarrer und wer sonst das große
Publikum dcr deutschen Bildung zusammensctzt, sie alle haben zu viel
sonst noch zu tun, als daß sie ohne weitcres vcrpflichtet wären, sofort
den rechten Platz zu finden, auf dem die Bilder im besten Lichte stehn.
Vcrgegenwärtigen sie sich abcr die Bedingungen nicht, untcr denen
solch ein Vild entstand, so sind sie nicht „eingestellt" und kommen vielleicht
niemals zu rechtcm Genießcn. Sie schauen dann immer nach andern
Werten aus, als denen, die d a sind.

Ein nackter Körper stcht unter durchflimmertem Grün, man sieht ihn
aus der Ferne und hat Pinsel und Farben, um von dem bewegten Licht-
leben aufzufangen, was das Entzücken des Malerauges später noch wieder
erwecken kann. Aber wie man das tut, freut man sich zuglcich der Iauber-
mittel in der Hand, denn wo dir die den richtigen Strich und Tupf gibt,
da spinnt Frau Phantasie sofort damit weiter, so daß du im eigenen
Schaffen viel mehr genicßest, als du eigentlich hintust. Du mußt nur
immer wicdcr znrücktreten vor dem Bild (auch du, Beschauer!), dann
webt alles ineinander, webt alles zusammcn. So genießt der Künstler

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