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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 17
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Avenarius, Ferdinand: Futuristen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0339
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Futurisien

^mi^ie Futuristen, die jetzt in Berlin ausgestellt haben, sind fast aller-
>-H^seits ausgelacht worden. Das ist entschuldbar, denn es ist schwer,
den tzumor anders zu befreien, wenn man zum Beispiel ein
Märchcnbild „Der Auszug der Maikäfer durch den Wald" zu fehen
glaubt und dann erfährt, datz die leichtfertig als Maikäfer gedeuteten
„mathematisch geisterhaften Silhouetten" „das Symbol der großen Mc-
lancholie" sind, und daß sie nicht durch Väume, wie man schnellfertig ge-
wähnt, sondern durch Shmbole der Trauer dahinziehen. Man konnte dies
doch wohl nicht gleich wissen. Amd dennoch meine ich: man sollte dem
„Sturm" für die Ausstellung dieser revolutionären Italiener danken.
Iedes aufrichtige und fleißige Wühen hat ein Recht dazu, den Kunst-
freunden zu dem Versuche vorgeführt zu werden, ob ihnen eine Ein-
fühlung darein gelingt, und kein Kunstfreund wird diesen Versuch ohne
einen Gewinn irgendwelcher Art machen. Auch daß der Vegleittext der
Maler nach Größenwahn klingt, darf uns nicht stören. Da die Verfasser
augenscheinlich an die umstürzende und neuschaffende Gewalt ihrer Ideen
glauben, so haben sie ein subjektives Recht, sich für kolossale Kerle zu
halten. Va beae, wir denken anders als sie. Aber ihre Begleittexte und
„Manifeste" brauchcn wir, wenn wir über sie klar werden wollen.
Wir kämen ohne die Worte, wo überhaupt, langsamer zur richtigen
Einstellung auf die Bilder, und werden ja gewiß nicht so töricht sein,
Malcr nach der Logik ihrer Schriftsätze einzuschätzen.

Hat man zwischen den Phrasenpflanzungen dcs Katalogs die gesund
gewachsenen Gedanken und sonst das herausgepflückt, was man immcrhin
fürs Verständnis brauchen kann, und sucht man sich dann klarzumachen,
was all das ausgesät hat, so findet man als Hauptsächliches dies: Das
Malen war bisher eine räumliche Kunst des Nebeneinander, die Futuristen
wollen es zu einer des Neben- nnd des Nacheinander machen. Das
Ergebnis ist ein Durcheinander. Ie nach Wunsch ist auf dem Bild,
was zu sehen ist und was zu sehen war. Ie nach Wunsch sind die
Dinge ein- oder mehrfach, ganz oder brnchstückweise darauf, nnd wo sie
im Raume stehen oder aber anderswo. Ie nach Wunsch sind sie wie
in der Wirklichkcit von anßen oder aber röntgenstrahlenhaft auch im
Innern zu sehn oder anch nur als Schatten oder Nmrisse, daß man
durch die Körper sieht, was dahinter steht, beziehentlich in der Vor-
stellung des Malers einmal stand oder auftauchte. Alles: ganz oder
teilweise. Beispiel: es wird getanzt. Wie dein Blick hier und dort
etwas auffaßt, schwebt von derselben Dame links ein Kopf und rcchts
ein Bein, und dort noch ein Kopf und dort noch ein Bein und noch
eins, einzelne Glicdmaßen von Mittänzern und andern Ieitgcnossen
springen dazwischen auf, und Bilder aus allen möglichen Impressionen
und Assoziationen wirren dazwischen, darum, dahinter auf der Leinwand
herum. „Ist dies schon Wahnsinn, hat es doch Methode": dem Be-
schaucr wird wirklich so dumm im Kopf, wie, je nach snb- und ob-
jektivem Befund, möglicherweise im Variete selber. Als gegen eine
gelegentliche Scherztechnik ließe sich gar nichts dagegen einwenden, im
Gegenteil: der Futurismus bietet dafür die allerfruchtbarsten Möglich-

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