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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 16 (2. Maiheft 1912)
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Erdmann, Karl Otto: Politische Außenseiter und die Herrschaft der Besten
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0260
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selbst die Äberlegenen und Vorurteilslosen in den Parteien die Vor-
urteile der Menge im Interesse der Kampfesfreudigkeit für nützliche
Illusionen; genau so, wie die deutschen Heerführer in den Franzosen-
kriegen es nicht ungern gesehen haben, wenn unsere braven Soldaten
die derbsten und — objektiv gesprochen — albernsten Schmählieder
gegen die roten Hosen und Napoleon sangen. Äber die Berechtigung
gegnerischer Anschauungen denkt der Wollende und Kämpfende
am besten überhaupt nicht nach. Aber wer sich auf den Standpunkt
des Erkennenden und theoretisch Interessierten begibt, der darf
sich in stillen Stunden schon eingestehen, daß die Besten, das heißt die
zur Führerschaft Fähigen sich nicht nur in der eigenen Partei
finden.

Wer diese Anschauung nicht zu teilen vermag, wer der Meinung
ist, daß, wenn einmal erst „die Besten" führen, diese Führung sich
nur in einer ganz bestimmten Richtung bewegen könne, dem bleibt
schließlich nur übrig, den Begriff der Besten noch enger zu fassen,
und unter ihnen nicht die allgemein und politisch Befähigtsten schlecht-
hin, so.ndern nur diejenigen zu verstehen, die auch die „richtigen"
Ziele, die „wahren" Kulturideale haben. Ob es wirklich solche absolute
Ziele und Ideale gibt, darüber zu streiten ist aussichtslos. Angesichts
der jahrtausendlangen Kämpfe über Fragen der Religion, Politik
und der Weltanschauung im allgemeinen darf der Kritische bezweifeln,
ob auch nur die Gebildeten eines Volkes sich in absehbarer Zeit
über ihre politischen Ziele werden einigen können. Aber da die
meisten naive Dogmatiker sind, kommen sie über alle solche Bedenken
mit Leichtigkeit hinweg: sie setzen als selbstverständlich voraus, daß die
richtigen Ziele, die absoluten Kulturideale mit den eigenen Zielen
und Idealen zusammenfallen.

Vielleicht nimmt auch vr. Grabowski bei seiner Forderung: „Die
Besten sollen herrschen" stillschweigend als selbstverständlich an: diese
„Besten" müßten schon als solche konservativ oder vielmehr kultur-
konservativ sein. Dann gewinnt auch sein zunächst etwas auffälliger
Satz: „Konservativ sein heißt den Besten folgen" eine unanfechtbare
Bedeutung. Er besagt dann: echt konservativ sein heißt den besten
Konservativen folgen — eine Tautologie, die wohl jeder mit
Vergnügen unterschreiben wird. Karl O. Erdmann

Lose Blätter

DichLungen eines Vergessenen

Siegfried Lipiner

sWer kennt die nachstehenden Gedichte, und wer den Dichter?

Lr ist vor kurzem gestorben. Das pflegt der Augenblick zu sein, in
dem man auch des Vergessenen sich noch einmal erinnert und sich sagt:
Ach, das war ja der . . . Aber von dem Dasein Siegfried Lipiners
scheint fast niemand mehr etwas gewußt zu haben. Keine Zeitung ver-
zeichnete auch nur mit einer trockenen Notiz das Ereignis seines Todes;
in keiner Literaturgeschichte, keiner Anthologie findet man ihn; kein „Wer

2. Maiheft M2 209
 
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