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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 14 (2. Aprilheft 1912)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0125
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Glaubensbedrängnis? Häufte sich nicht anf diesen Namen leidenschaft-
lichste Verwünschung wie ein wolkendurchragender Berg?

Wenn diese Bauern auch nur wenig Verbindung mit der Außenwelt
hatten, soviel war doch von Wahrheit unb mehr noch von schreckhast
vergrößernder Fama auf das entlegene Hochland der Spitzberge gedrungen,
daß es beim bloßen Klange des Namens „Iesuiten" den Leuten eiskalt
über den Rücken lief.

Die Männer sahen cinander mit weit aufgerissenen Augen fragend
an, und unter den Frauen erhob sich ein leises Weinen, Schluchzen und
Wimmern.

Georg Hauptmann aber atmete einmal schwer und tief beklommen auf.
Dann faltete er seine Händc über der Postille, wandte das Gesicht geu
Himmel und begaun, laut und innig zu beten:

„Grhalt uns, Herr, bei deinem Wort

And steure des Papsts und der Türken Mord,

Die Iesum Christum, deinen Sohn,

Stürzen wollen von seinem Thronl"

Sogleich stimmte die ganze Versammlung mit ein. Vers um Vers
des ganzen Liedes beteten sie mit immer heißerem und inbrünstigerem
Flehen vor sich hin. Pastor Neander, wie er diese Sektierer so mit
Doktor Martins Versen den Himmel stürmen hörte, geriet in eine Ge-
fühlserregung nie erlebtcr Art. And ob ihm wohl der Verstand zuraunte,
jetzt sei's Zcit, die Bedrängten auf die Seite des Trostlieddichters herüber-
zuziehen, vermochte er zunächst doch nicht, die Stille der Ermattung zu
stören, die nun dcm Gefühlsaufruhr folgte.

Erst, als wieder dieser und jener die Hand regte und den Blick wandte,
fragte er mit halber Stimme: „Und was gcdenkt Ihr nun zu tun?"

Da sahen wieder alle gespannten Blickes auf ihren Senior.

Der hatte längst seine Festigkeit wiedergewonnen, und mit ruhiger
Stimme sagte er: „Ausharren werden wir. Ausharren bis ans Ende!"

„Ia aber," rief Neander mit einer gewissen Hilflosigkeit, „wißt Ihr
denn, was das bedeutet?"

„Wir wissen's!" entgegnete Georg Hauptmann gelassen. „Denn wir
kennen dic Geschichte der Verfolgungen unserer Bruderschaft."

„Und dennoch —?"

„Und denuoch werdcn wir ausharren! Gerade deshalb! Nicht wahr, lieben
Brüder?«

Da war's, als habe er allen einen Baum von der Brust gelöst. Eine
fieberhafte Bewegung und Aufrcgung fuhr plötzlich in die Gemeinde.

Meschter, Nixdorf und der langbärtige Schubert stiegen über die Bänke
herüber und schütteltcn dcm Patriarchcn wie zu einem Bundesschwur die
Hand.

Gcfühlskarge Männer legtcn ihren Arm um dic Schultern ihrer
Fraucn, als müßtcn sie sie schon jetzt gegen Gewalttat schützen, und Frauen
hingen schluchzcnd am Halse ihrer Männer, als wolle man sie von ihnen
wegreißen und in die finstern Modergewölbe der Gröditzburg sperren zu
jahrelanger Qual.

So sehr war jeder mit sich selbst beschäftigt, und so laut schwirrten
Nede und Gegenrede durcheinander, daß niemand bemerkte, wie Pastor
Neander ohne Abschied und Gruß die Stubc verließ.

2. Aprilheft chs2
 
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