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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1912)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Allgemeingut: und Grenzen kaufmännischer Verwaltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0103
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l Iahrg. 25 Zweites Aprilheft 1912 Heft 14

Allgemeingut

und Grenzen kaufmännischer Verwaltung

kommt vor, daß schlimme Gesahren in einer Kultur sich ein-
E schleichen, nicht wie der Dieb in der Nacht, sondern wie der Bazil-
^^lus ins Blut. Der Dieb, der ungesehen kommt, stistet seinen
Schaden, aber er ist doch nur er, der eine Schädling. Der Bazillus
ist Keim. Aus einem werden Millionen, und du brauchst sie doch nicht
zu sehen. Brauchst nicht einmal zu wissen, daß sie dein Blut durch-
setzen. Line allgemeine Nnlust fühlst du vielleicht, nicht mehr. Bis
die edelsten Organe stocken und nur deine urwüchsige Lebenskraft
oder starke Gegengifte dich retten können. Sonst stirbst du eben oder,
wenn's nicht gleich ans Sterben geht, siechest du. Führst ein
Halbleben weiter, dem die Frische fehlt. Du hättest kleine Anzeichen
früher beachten sollen. Wären sie doch nicht so unbeträchtlich ge-
wesen, daß es einem rein lächerlich erschienen wäre, sie zu beachten!
Hättest du nur ahnen können, daß aus dem kleinen Fleckchen da über-
haupt irgeud etwas nennenswert Lästiges werden könnte!

Und wie der einzelne erst weiß, was Gesundheit ist, wenn er sie
verloren hat, so geht's auch dem Volksbewußtsein oft. Das Auge
arbeitet nicht mehr recht, jetzt fällt uns ein: vorjahrs sah ich doch
dies und das noch scharf. Freilich, aber vorjahrs kannte ich eben
keine andre Art zu sehen, als meine altgewohnte und achtete nicht
drauf. So denkt ein Volk, dessen Staatwesen gänzlich frei ist von Korrup-
tion, kaum daran, daß es damit ein Gut besitzt. Viel weniger aber
geschieht das noch bei Lrscheinungen, die nicht durch irgendeinen
Kontrast in der Nachbarschaft bewußt gemacht werden. Von solch
einem Gute will ich heut sprechen, weil es mir durch Krankheits-
erreger bedroht scheint, deren erste Symptome am Gesellschaftskörper
ganz lächerlich unbeträchtlich scheinen. Die staatlichen Einrich-
tungen sind in Deutschland noch nicht der Reklame
ausgeliefert, das ist das Gut. Aber man beginnt, sie
ihr auszuliefern, da liegt die Gefahr. „Gut" und „Gefahr",
handelt sich's denn hier um wichtige Dinge? Ich bin überzeugt
davon, die Mehrzahl liest über die unterstrichenen Worte ziemlich
gleichgültig hin. Also: Wie ist das Gut und wie ist die Gefahr
zu bewerten?

Auch dieses Gutes sind wir, wie aller Gesundheit, vorläufig noch
gar nicht bewußt. Wenn wir in die Kirche treten, so blicken wir
nicht auf Geschäftsempfehlungen, der Gedanke, das könnte geschehn,
scheint uns einfach dumm. Im Zusammenhange mit Religion wäre die
Sache doch gar zu grotesk. Aber auch bei allen öffentlichen Gebäuden
sonst versteht sich uns das Fehlen jedes Reklamewesens ganz von selbst.
Wo ist im weiten Deutschen Reich ein Parlamentsgebäude,
dessen Gäuge und Wartezimmer an Geschäftsleute vermietet würden?
Oder ein Regierungsgebäude? Oder ein Rathaus, in
welchem sich doch in den Wartezimmern zum Beispiel der Standes-

2. Aprilheft M2 TS^
 
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