Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

DOI Heft:
Heft 17
DOI Artikel:
Stapel, Wilhelm: Fichte
DOI Artikel:
Corbach, Otto: Familie und Staat: zur Frage der Erbanfallsteuer
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0334
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
stößt. Dann aber rafft er sich zusammen: in der Erkenntnis gelte nicht
ich, sondern die Wahrheit gilt. Und nüchtern schreitet er in
der Analyse des Geschauten fort. Aber zuweilen schlägt aus der zurück--
gehaltenen Glut die Flamme. Nnr durch seine Persönlichkeit erklärt
es sich, daß seine Vorlesungen in Iena über den denkbar schwierigsten
Stoff, obwohl er sie allmorgens um sechs begann, so zahlreich von den
Studenten besucht waren, und daß er auch praktisch einen starken Ein-
fluß auf die akademische Iugend ausübte. Mit diesem Willen zur
Wahrheit und Wahrhaftigkeit verbindet sich eine außerordentliche
geistige Energie, der eine gedrnngene körperliche Kraft entspricht.
Der Mediziner tzufeland sagte, daß ihm keine zweite Erscheinung
von solcher Hypersthenie (Äberkraft) vorgekommen sei. Wo Fichte
auf Nnklarheiten stößt, läßt er sie nicht dahingestellt, es gibt keine
Ermattung für ihn, mit einer wahren Wut nach Klarheit und Be-
stimmtheit bohrt er sich in das schwer Faßbare hinein. Er kämpft
mit den Objekten der Wissenschaft, wie er im Leben mit den Menschen
und Institutionen kämpft. Im praktischen Leben ist er ganz trotzige
Kraft. Er, der als Forscher das Gegenständliche aufs höchste achtet,
nimmt als Mensch auf die „historisch gewordenen" Tatsachen nur so
viel Rücksicht wie der Künstler anf das Material. Es gilt ihm nichts
an sich, es ist ihm nur dazu da, daß etwas daraus gemacht werde.
Wie er das Leben gestaltet, dafür sind nicht die irdischen Tatsachen
maßgebend, nur das vernünftige sittliche Bewußtsein hat darüber
zu entscheiden. Pflicht ist mehr als das Leben. Wahrhaftigkeit aber
ist die erste und unerläßliche Voraussetzung für jedes Verhalten.

Seine „Zeit" gab sich zufrieden mit dem Schein. Sie ist zu-
sammengebrochen. Die, welche über ihr standen, hauchten ihr neues
Lebeu ein. Haben wir aber nicht auch heute wieder viele der tiefsten
menschlichen Lebenswerte auf bloßen Schein gestellt? Welche von
den überlieferten Werten sind uns nur Worte und welche erleben
wir wirklich? Nnd wo wir das Gute und Kraftvolle der alten Ideale
nicht mehr erleben, ist es da unsre Schuld, die sich rächen wird?
Handelt es sich dabei vielleicht um etwas, das in Wahrheit unent-
behrlich ist? Danach wollen wir ehrlich und mit reinem Wahrheits-
willen forschen, und was wir erkannt haben, danach wollen wir t u n.
Dann hat der, dessen hundertundfünfzigsten Geburtstag wir in diesen
Tagen feiern, auch für uns gelebt. Wilhelm Stapel

Farnilie und StaaL

Zur Frage der Erbanfallsteuer

le Verwandtschaft bildet heute bei uns keine große Familie mchr,
>-H^worin die Mitglieder im Notfalle einander schützten und unter-
stützten. Der Gesetzgeber hat darum schon die gesetzliche Unter-
haltspflicht fast ganz auf Verwandte in gerader Linie beschränkt; er
wagt es nicht mehr, die Geschwister, und seien sie noch so sehr dazu im-
stande, zur Unterstützung heranzuziehen. An Stelle der aufgelösten Groß-
familie ist in den moderncn Kulturstaateu die Gemeinde oder dcr Staat
gctreten; die Vormundschaft wird von Staat uud Gcmcinde überwacht;
der Gemeinde hat man aüßcrhalb dcr geradcn Linie die vollc Untcr-

h Iunihcft

273 ^
 
Annotationen