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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 18 (2. Juniheft 1912)
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Nordhausen, Richard: Recht und Richter
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0414
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Iahrg. 25 Zweites Iuniheft 1912 Heft18

Necht und Nichter

^m^ie Schicksale eines Sechzigmillionenvolkes können nicht durch
>-H^Volksabstimmung auf dem Marktplatz der Hauptstadt entschieden
werden, und unter der Gerichtslinde ist nicht Platz genug sür
das heutige Gewimmel der Rechtsuchenden. Forum und Thing sind
überwunden. Daß aber mit ihnen auch die Innigkeit und Innerlich-
keit zugrunde gehen mußten, die Beschlüsse wie lirteile zierten, war
vielleicht zü verhüten. Der handwerksmäßige Betrieb im Parlament
und im Gericht ist kein Segen für die Nation. Beide entfernen sich
dadnrch von ihr, verlieren die feinsten, doch wichtigsten Saugwürzel-
chen, und beide helfen nun nachdrücklich an der Veräußerlichung un-
seres öffentlichen Lebens mit, das gerade von ihnen wichtige An-
regungen empfangen, durch sie vertieft und veredelt werden sollte.
Hunderte der besten Männer Deutschlands halten heute den Parla-
mentarismus, wie er ist, für eine nationale und eine kulturelle Ge-
fahr. Gegen die Schwatzkammern hat neulich die beste Feder der
Sozialdemokratie gewettert, und was Lothar Bucher über den parla-
mentarischen Iahrmarkt der Eitelkeiten sagte, das klingt nun, an
der Erfahrung so vieler Legislaturperioden gemessen, fast onkelhaft
mild. Wie von der Volksvertretung, haben sich unsere Vorfahren
auch von der modernen Gerichtsbarkeit blaue Wunder versprochen.
Die Itnabhängigkeit der Richter, das öffentliche Verfahren, die freie
Advokatur — alle Abneigung vor Frau Themis sollten sie aus der
Welt schaffen. Ilnterm Fittich der neuen Ordnung sein Recht zu
suchen, das würde, meinte man, paradiesisches Vergnügen sein. Statt
dessen aber wächst geschwind die allgemeine Rechtsverdrossenheit, die
Scheu vorm Gericht und der fatalistische Gleichmut, mit dem wir lieber
Unrecht leiden als den bösen Nachbar vor den Kadi schleppen. Früher
galt es als Zeichen bäuerlicher oder kleinbürgerlicher Beschränktheit,
wenn die Leute sich voll Höllenangst vom Gericht fern hielten und
sich krank zu Bett legten, sobald ihnen eine Vorladung ins tzaus
schneite. Heute fürchten gerade die Kultiviertesten nächst Gott nichts
mehr als die Notwendigkeit, nach stundenlangem Warten auf den Korri-
doren unserer Rechtspaläste in einer Sache „zeugen" zu müssen. Nnd
wen sein Temperament oder sein unverdorbenes Rechtsempfinden
schon einmal dazu verführte, die Hilfe der großen Urteilsfabriken an-
zurufen, der leistet sich nachher gemeinhin den heiligen Eid, es nie
wieder zu tun. Nnd sein Herz ist dabei wuchtigerer Empfindungen
voll als bei irgendeiner der Massenschwörereien, mit deren Hilfe
sich die Herren Iuristen notgedrungenermaßen über die ärgsten Schwie-
rigkeiten des Betriebes hinwegsetzen.

Unser geschriebenes Recht ist kein Volksrecht. Seine römische Her-
kunft schon verbietet das. Man hat's für die Gelehrten ersonnen, und
nur Gelehrte können sich leidlich in dem Paragraphengewirr zurecht-
finden. Manchmal auch die nicht. Shne Repetitorien und verschwie-

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