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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 14 (2. Aprilheft 1912)
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Rundschau
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0164
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Lebende Worte

Leibl und Thoma bei der Photo-
graphischen Gesellschaft in Berlin
demnächst in größerer Reproduktion
erscheinen werden.

Wohttun

ie allgemeine Wohlkätigkeit be°
steht darin, daß ein jeder von
seiner eignen Arbeit und nicht von
der Arbeit andrer lebe. . . Die
wahre Caritas ist die Hingabe des

Werkes eines jeden einzelnen an
alle; sie ist Lie schöne Güte, die har-
monische Geste der Seele, die Wohl-
taten ausgießt. Wir besitzen nichts
so eigen als uns selbst, und man
gibt nur wahrhaft, wenn man seine
Seele, seinen Genins gibt. Diese
herrliche Hingabe aber seines ganzen
Selbst an alle Menschen bereichert
den Geber ebenso sehr wie die Ge-
schenke der Empfangenden.

Anatole France

Unsre Bilder und Noten

ls wir vor Iahren zum ersten Male von Wolfgangmüller
1 sprachen, waren deren noch wenige, die in ihm einen Maler von
Bcdeutung sahn. Die große Bewegung ums Erweitern der Grenzen,
ums Erobcrn ging vom Impressionismus aus, was man jenseit ihrer an-
erkannte, waren Einzelpersönlichkeiten im numsrus clausus. Wer auf
cignen Wegen erst noch berühmt werdcn sollte, mußte sein Heil entweder
mit gartenlaubigem Popularitätmachen durchs stoffliche Interesse ver-
suchen, wie C. W. Allers, oder mit sensationeller Groteske wie Sascha
Schneider — zwei Künstlernamen, die man nur zu nennen braucht, um
auch den Iüngeren noch aus ihrcm eigenen Miterleben die Vergänglich-
keit des Tagesruhms zu illustrieren, der heute sinnlos ungerecht empor-
hebt, um morgen ebenso launisch ungerecht über das Maß hinaus zurück-
zustoßen. Unter den Stillen im Lande, die mittlerweil aufkamen, war
Wolfgangmüller einer der marktfremdesten. Unser farbiger Steindruck
zeigt eines derjenigen Bilder vou ihm, die mir seine liebsten sind. Was
ist denn eigentlich daran? „Daran" ist gar nichts, äußerlich dazu- oder
hineingebaut ist nichts, aber gefüllt mit Innenleben ist die tiefe Einfach-
heit des Bildes bis zum Rand. Wenn wir seine verschiedenen Stellen nüt
den Augen „besuchen": den brannen Hang links, die feuchte tiefere Stelle mit
dem Wässcrlein, die dunklen Fichten, den Hintergrund, der ganz schlicht und
poselos eine einfache Eisenbahnbrücke zeigt, den tiefdunkeln Waldsaum zum
Abschluß links, so finden wir alles einzelne mit liebendem Auge gesehn und
mit kunstvollem Fleiße gemalt, aber zu einem Ganzen von besonders starkem
Eindruck wächst es noch nicht znsammen. Der Himmel — ja, jetzt auf
einmal wird alles zu Einem! Dic freudige Seligkeit an der Schönheit
des Seins, in diesem Himmel breitet sie sich wie segnend aus. Und so
stark der Gegcnsatz zwischen Wolkenhelle und Erdendunkel, es bezieht
sich doch alles aufeinander, wie dieses ruhige Land aus scinem Atem
heraus diese Wolken geboren hat.

Allgeher erzählt srgreifend davon, wie Feuerbach eines Tags in
hoher Erregung heimkam: er hatte auf einer Kirchentreppe eine Bäuerin
schlafend gesehn und warf sich nun sofort auf den Boden, um, seiner
Gcwohnheit gemäß, das Geschaute so in großen Zügen festzuhalten. Ieht

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