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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 13 (1. Aprilheft 1912)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0050
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gann leise um sie zu rieseln von fallenden Körnern, nichts sonst war zn
vernehmen. Einmal nur war's ihr, als höre sie eines Kindes bitterlich
Weinen, sie hielt einen Augenblick an, kam dann ins Laufen und immer
näher dem Ickuß, ganz nah hörte sie das dumpfe Murmeln und Gurgeln.
Hoch hob sie bie Arme, ein Gleiten, ein Sichducken, schon schoß das
Wasser über sie weg. Da, ein Schrei, mit zwei Händen griff sie nach
einem Strauche. Das Kind hatte geschrien! Ein Kind hatte geschrien!
Sie will leben für das Kind! Für ihr Kind. Mit aller Kraft wehrt
sie sich nun gegen die Strömung, klammert sich an den Strauch, langsam,
langsam gibt er nach. Langsam wird sie in die Mitte des Flusses ge-
tricben, ihre Vewegungen ermatten, ihren Ruf erstickt das Wasser.

Da kommt's über den Hügel heruntergestürmt mit lautem, bellendem
Winseln, wie Signale und wie Freudenschreie ist es. Ali ist da, Ali
wirft sich in die Strömung. Ali zieht und zerrt an ihr, bis er sie am
seichteren Ufer hat, gerade als ihr die letzte Besinnung schwindet und
hinter den Afersträuchern Menschen auftauchen, die die Erstarrte in
warme Decken wickeln und sie, begleitet von dem in kurzen, halb klagcn-
den und halb freudigen Lauten bellenden Ticre, über den tzang znrück-
tragen, den sie eben in schwerstem Leid heruntergeflohen war.

Sie erwacht weich und warm gebettet; vor dem großen Kachclofen
liegt sie, der vor Wärme und Wohligkeit knattcrt, die Stube ist voll heller
Abendsonne, kleine Eisblumen setzen sich an den Fenstcrn an, durch die
der weitgeschwungene Bogen des Kanterberges schaut; nebcn ihr steht
der große Lehnstuhl ihres Mannes, und die Augen, die auf sie sehcn,
sind nicht die Augen eines Richters, sind nicht Augen, die sis ausstoßen
und gehen heißen; es sind die Augen eines Verstehenden, Verzeihenden,
sind Angen, die sie bitten, zu bleiben, die in Trauer und Freude glänzen.
Langsam sucht sich eine Hand zu ihr zu stehlen, und sie HLlt sie fest, sie
weint darüber all die Tränen ihres Leides und ihrer Freude, und sie
legt sie anf das klopfende Herz, unter dem sie das Kind trägt, das nun
auch sein Kind werden soll, um ihres Schmerzes, ihrer Neue und ihrer
Liebe willen.

Rundschau

REgiöse Wahrheit

^>n den religiösen Streitigkeiten
Ounsrer Zeit wird von den ver-
schiedenen feindlichen Seiten her
viel Tüchtiges, Sinnvolles und
Geistreiches gesagt. Was aber für
die große Mcnge alles zu be-
streiten hat, das bleiben doch
wenige überlebensgroße und er-
schreckend unkomplizierte Sätze, in
denen allmählich das einfache
Alter die fehlende innere Kraft
ersetzen muß.

Man brauchte darüber nichts

zu sagen, wenn diese selben SLtze
nicht immer wieder anch auf Ebe-
nen auftauchten, auf denen man
sie nicht erwarten sollte.

Äber den Gottesglauben mag
man streiten. Wir haben nicht
die Absicht, uns darüber zum
Wort zu melden; nur über die
Art der Beweisführung sei uns
eins verstattet. Denn es kann
ja den Kämpfern nichts daran
liegen, in die Luft zu hauen.

Man verfehlt den Grundsinn,
die Grundstellung aller Religion,

1 h Aprilheft W2

Allgemeineres

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